Werbung
Werbung
Werbung

Am 14. Oktober wäre Hannah Arendt (1906 - 75) 100 Jahre alt geworden. Die Jaspers-und Heidegger-Schülerin (bei letzterem auch dessen Geliebte) war eine der Denkerinnen des 20. Jahrhunderts, die auch und gerade durch die Schoa, der sie mit Mühe entkommen war, geprägt wurde. Hannah Arendt ist wieder zu entdecken - als Nach-Denkerin über das Böse (S. 22), als Vor-Denkerin über das Leben von der Geburt her (S. 23) und in Zeiten eines "Kriegs gegen den Terror" als politische Denkerin (S. 24). redaktion: otto friedrichDas Leben einer Theoretikerin zwischen den Kontinenten, die immer aktueller wird.

Gegen das Denken um seiner selbst willen hatte Hannah Arendt starke Vorbehalte, nachdem sie erfahren musste, dass die deutschen Intellektuellen mehr als andere von Nationalsozialismus verführbar waren und vielen von ihnen - anders als Karl Kraus - zu Hitler durchaus etwas einfiel, sie sich also ihren Opportunismus besser zurechtreden konnten als andere. Nach ihrer Flucht aus der GESTAPO-Haft in Berlin widmete sich Hannah Arendt in Paris lieber der praktischen Arbeit, vor allem der Rettung jüdischer Kinder nach Israel.

Aber das Leben zwang sie wieder zum Denken - um die eigenen Erfahrungen und ihre zerbrechende Welt zu verstehen. So wurde die Jüdin Rahel Varnhagen, über die sie ein Buch schrieb, ihre "wirklich beste Freundin, die nur leider schon 100 Jahre tot ist". In einem sozialdemokratischen Elternhaus in Hannover geboren und in Königsberg in einem assimilierten Milieu aufgewachsen, wurde Hannah Arendt erst durch den Nationalsozialismus zur bewussten Jüdin. Und zur leidenschaftlichen Denkerin des Totalitarismus im 20. Jahrhundert.

Die Welt begreifen

Denken war ihre erste Passion. Mit 14 Jahren las sie Kant und Kierkegaard, griechisch las sie fließend, und bevor sie als Externe die Matura ablegte, war sie in Berlin Gasthörerin in Philosophie, unter anderem bei Romano Guardini. Dass sie mit 18 Philosophie studieren wollte, war selbstverständlich, und zwar in Marburg, denn es gab unter der Jugend ein Gerücht: "Das Denken ist wieder lebendig geworden ... Es gibt einen Lehrer; man kann vielleicht das Denken lernen." Dieser Lehrer war Martin Heidegger, und Hannah Arendt lernte von und mit ihm das Denken - und die Liebe. Der kurzen intensiven Affäre der beiden folgten Perioden der Funkstille und heftige Kontroversen, aber die Begegnung blieb für Hannah Arendt bestimmend - gerade auch dort, wo sie produktiv gegen Heidegger dachte.

Die Jüdin, die später in den USA international berühmt wurde durch ihren Bericht über den Eichmann-Prozess in Jerusalem, in dem ihr "die Banalität des Bösen" deutlich wurde - was faszinierte sie an dem Mann, der 1933 auf die Nazis setzte? Und vor allem: Was führte die Weltbürgerin aus Amerika nach dem Krieg wieder zu dem kompromittierten Heidegger, der außerhalb seiner Philosophie ein bornierter Kleinbürger war? Antonia Grunenbergs Buch über diese "Geschichte einer Liebe" stellt solche Fragen - und schüttet sie nicht mit eindeutigen Antworten zu, wo diese nicht zu haben sind.

Arendt und Heidegger

Antonia Grunenberg, Gründerin und Leiterin des Hannah-Arendt-Zentrums an der Universität Oldenburg, hat eine jener raren Biografien geschrieben, die man nicht weglegen kann, auch wenn einem die Augen fast zufallen. Denn schon der Titel "Hannah Arendt und Martin Heidegger" ist die reinste Untertreibung: Es geht nicht nur um die beiden, und schon gar nicht um eine private Geschichte, sondern um die biografischen Voraussetzungen ihres Denkens. Und dazu braucht es viele andere Porträts: in Großaufnahme Karl Jaspers, der von Heideggers Freund zu seinem Antipoden und Hannah Arendts lebenslanger Brief-und Gesprächspartner wurde, aber auch Heidegger-Schüler wie Herbert Marcuse, Hans Jonas oder Günther Anders, der als Günther Stern Hannah Arendts erster Ehemann war.

Doch das faszinierende Buch verliert sich nie in seinen Porträts und Milieustudien, sondern öffnet die Lebensgeschichten auf die zentralen politischen und denkerischen Fragen, aus denen sich das Werk von Hannah Arendt speist. Von besonderer Aktualität ist ihre Auseinandersetzung mit dem Zionismus. Sie wollte kein Palästina nach dem Muster europäischer Nationalstaaten, weil diesem dieselben nationalen Konflikte bevorstünden, die in Europa zwei Weltkriege ausgelöst hatten. Später wurde Hannah Arendt in Israel zur Unperson, weil ihre Formel von der "Banalität des Bösen" den Interessen des jungen Staates Israel diametral gegenüberstand, der den von seinem Geheimdienst aus Argentinien entführten Adolf Eichmann der Welt als Bestie, als Verkörperung des Dämonischen vorführen wollte.

"Denken ohne Geländer"

Der letzte Teil von Grunenbergs Studie ermöglicht nicht nur einen Blick auf den alternden Heidegger und die letzten Lebensjahre Hannah Arendts nach dem Tod ihres Gatten Heinrich Blücher, sondern zeigt, wie sie Heideggers "Geworfenheit" des Menschen und seinem Denken vom Tod her ihr Konzept der Geburt als Ermöglichung eines Neuanfangs entgegensetzt.

Und doch: Hannah Arendt kam aus keiner "Schule" - und vor allem hat sie keine begründet. Sie praktiziert ein "Denken ohne Geländer", das aus eigener Erfahrung kommt. Sie ist eine dezidiert säkulare Denkerin, die religiöse Traditionen ohne jede Berührungsangst aufnimmt. Sie denkt aus der Antike, aber Jesus oder Augustinus zählen ebenso, wenn es um die brennenden Fragen der Gegenwart geht.

Buchtipp:

HANNAH ARENDT UND MARTIN HEIDEGER

Geschichte einer Liebe

Von Antonia Grunenberg. Piper Verlag, München-Zürich 2006, 470 Seiten mit 41 Abbildungen, kart., e 23,60

Radiotipp:

DER WIRKLICHKEIT WIDERSTEHEN

Zum 100. Geburtstag von Hannah Arendt. - Logos.

Gestaltung: Cornelius Hell

Samstag, 14. Oktober, 19.05, Ö1

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung