Der faszinierende transatlantische Briefwechsel zwischen Hermann Broch und Ruth Norden.
Ruth Norden war 27 Jahre alt und arbeitete seit zwei Jahren als Lektorin beim S. Fischer Verlag in Berlin, als sie 1934 einen Brief an Hermann Broch schrieb, dessen Romantrilogie "Die Schlafwandler" sie stark beeindruckt hatte. Der 47-jährige Hermann Broch bedankte sich mit einem unveröffentlichten "Sommergedicht" bei der ihm unbekannten Verehrerin. Noch war nicht abzusehen, dass sich der Briefwechsel zum Liebesroman entwickeln würde.
Beide Briefpartner entstammten großbürgerlichen jüdischen Unternehmerfamilien, Ruth Norden wurde in London geboren und wuchs zweisprachig auf, bereits im September 1934 emigrierte die politisch wache und engagierte Intellektuelle nach New York, wo sie als Lektorin im Alfred A. Knopf Verlag und für Zeitschriften ihren Berufsweg fortsetzte.
Liebes Fräulein Ruth
Bis zu seiner Emigration im Jahr 1938 tauschten die Briefpartner Erfahrungen über deutschsprachige Literatur aus, diskutierten darüber, welche Autoren man übersetzen sollte und Broch empfahl unermüdlich auch jene Kollegen, die ihn nur als Konkurrenten sahen wie Elias Canetti und Robert Musil. Das Thema Emigration bestimmte die Briefe, wiederholt bot Ruth Norden ihre Gastfreundschaft an, aber seine finanzielle Situation erlaubte nicht einmal die Aufbringung der Reisekosten.
Geheim geheiratet
Ruth Norden veranlasste Thomas Mann und Albert Einstein für ihn zu bürgen und verschaffte dem kurz nach dem Anschluss in Altaussee verhafteten Autor das lebensrettende Visum. Im Oktober 1938 kam er gemeinsam mit seiner Freundin Jadwiga Judd in New York an - Hermann Broch unterhielt zeitlebens mehrere Beziehungen nebeneinander. Es dauerte nicht lange von der ersten persönlichen Begegnung von Ruth Norden und Hermann Broch bis zu einem mit sehr ungleich verteiltem Einsatz gelebten Liebesverhältnis, das mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod im Jahr 1951 hielt.
Dass der von Paul Michael Lützeler sorgfältig editierte Briefwechsel eigentlich nur Brochs Seite dokumentieren kann - von den 102 aufgenommenen Briefen sind 95 von Broch und nur sieben von Ruth Norden - liegt daran, dass Broch im Jahr 1949 geheim die ebenfalls 20 Jahre jüngere Annemarie Meier-Graefe geheiratet hatte, die nach seinem Tod die Briefe der Rivalin nicht dem Archiv übergeben hat und die seither verschollen sind. Ruth Norden hatte er die Ehe mit dem Argument, die viel Jüngere nicht unglücklich machen zu wollen, stets verweigert. Von seiner Heirat erfährt sie auch erst nach seinem Tod.
Die transatlantische Korrespondenz zwischen 1945 und 1948 fand unter umgekehrten Vorzeichen statt. Hermann Broch bestärkte seine Geliebte, nach Europa zu gehen, denn er suchte Distanz.
Ruth Norden arbeitete als Angehörige der amerikanischen Armee im Berliner Rundfunk rias, Hermann Broch quälte sich in Princeton mit finanziellen Problemen, dem Schreiben, seinen Krankheiten und Ängsten. Sie versorgte ihn mit Informationen über das Nachkriegs-Deutschland, er schrieb vor allem über seine persönliche Verfassung und brauchte sie als Vermittlerin von Paketen und Botschaften an die vielen Menschen, die Broch um Hilfe baten.
Fast in keinem seiner Briefe fehlen die Klagen über sein Alter, seine Müdigkeit und die Krankheiten, die ihn am Arbeiten hindern: "Liebes, ich bin müd und alt; das ist nicht mehr rückgängig zu machen." Er berichtet immer wieder über den Fortschritt seiner Psychoanalyse bei Paul Federn, sucht seine Beziehungs- und Liebesunfähigkeit zu begründen und schickt Double-Bind-Botschaften über den Atlantik wie diese: "Irgendwo hatte ich gemutmaßt, daß Du Dich verliebt hättest, teils gefürchtet, teils - soferne es etwas Richtiges gewesen wäre - auch gehofft."
Stereotyp betont er immer wieder die Pflicht, sein Werk zu vollenden, die "Ernteeinbringung vor dem großen Gewitter". Den Höhepunkt erreicht seine Leidensgeschichte anlässlich seines 60. Geburtstages 1946, als ihn die Korrespondenz überwältigt, die seit Jahren mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit beansprucht: "An und für sich ist es grotesk, daß ein Menschenschicksal durch Korrespondenz zugrunde gerichtet sein soll, doch ich bin ein Beispiel dafür."
Hermann Broch hat unglücklich überlebt, sieht seine Arbeitszeit aber durch Ruth Norden gefährdet, die ihre Rückkehr ankündigt, weil sie die amerikanische Politik des Kalten Krieges nicht länger mittragen will.
"Nicht Dich fürchte ich"
Faszinierend ist die transatlantische Korrespondenz nicht zuletzt deshalb, weil sich in den Briefen Hermann Brochs ein lebenslanger Kampf um sein Werk spiegelt, von dessen Genialität er überzeugt war und dem er alles unterordnet, auch seine Beziehungen. Kurz vor Ruth Nordens Rückkehr 1948 schreibt er ihr einen letzten Brief nach Europa: "Meine Arbeitslast wächst, meine Arbeitsenergie nimmt ab, beides in erschreckendem Maß. Und wenn ich, wie Du schreibst, scared' bin, so ist es, weil ich eben am Rande des Zusammenbruchs bin: diesen, nicht Dich fürchte ich. Und es ist eine entsetzliche Furcht."
Transatlantische Korrespondenz 1934-1838 und 1945-1948
Hermann Broch und Ruth Norden
Hg. von Paul Michael Lützeler
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005
176 Seiten, geb., e 25,50