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Prosa von Hesse und Broch

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Es ist „spannend, ja aufregend, zu sehen, wie er mit dem, Dichterischen seiner Aufgabe fertig zu werden sucht“, hat: Hermann Hesse in der Rezension des Romans ' „Die Schlafwandler“ von Hermann Broch 1932 geschrieben. Freilich deutet er hochachtungsvoll an, daß die drei Teile der Trilogie zwar geschmackvoll geschrieben seien, „ohne doch eigentlich Dichtungen zu sein“. Der Unterschied zwischen den zwei Autoren ist so riesengroß, daß man sie als literarische Antipoden nebeneinander stellen möchte.

Hesse, seit seinem „Peter Camen-zimd“ (1904) berühmt und viel gelesen, wurde in 35 Sprachen übersetzt und hält in den USA allein bei einer Gesamtauflage von sechs Millionen, in Japan von mehr als vier Millionen Exemplaren. Der Leiter des Suhrkamp-Verlages gab anläßlich eines Wiener Vortrages offen zu, die meisten Verlagsexperimente seien finanziell gesichert durch amerikanische Lizenzgebühren für die Schriften Hermann Hesses. Dieser fleißige Schriftsteller, der so nebenbei gut 3000 Buchrezensionen verfaßt hat, wurde nicht müde, jede Beobachtung und Selbstbeobachtung zu notieren, auch „Die Kunst des Müßiggangs“, wie die „Kurze Prosa aus dem Nachlaß“ paradox betitelt wird — nach dem ersten Stück einer langen Reihe mehr oder minder verschollener kleiner Prosastücke aus den Jahren 1904 bis 1959. Anspruchslos und ansprechend wie fast alles von Hesse, dessen nun schon über drei Lesergenerationen reichender Dauererfolg ein ungelöstes Rätsel bleibt. Wieso der reißende Absatz eines' Autors, der nie einen Reißer geschrieben hat? Dessen ungebrochene Beliebtheit sogar, ohne sein Zutun, die Angriffe des NS-Re-gimes auf den Wahlschweizer zum Schweigen brachte. Er durfte spielerisch versuchen, was er wollte, immer fand er mühelos zum Publikum. Etwa „Bin Satz über die Kadenz“ ist wirklich nichts als ein virtuos vorgetragener einziger Satz von 28 Zeilen, das Wesen musikalischer Brillanz literarisch nachahmend.

Ganz anders „Barbara und andere Novellen“ von Hermann Broch, „Eine Auswahl aus dem erzählerischen Werk“. Wirklich ganz anders? Wo liegt eigentlich der entscheidende Unterschied? Broch ist ebenfalls hochberiihmt, jedoch nur wenig gelesen. Seine Erfolglosigkeit bei der breiteren Leserschaft hält postum genauso an wie der Erfolg Hesses. Dabei beobachtet Hermann Broch wie sein Antipode Umwelt und sich selbst bei der Arbeit, nur tut er das nie spielerisch, es ist ihm bitter Ernst damit. „Jedes Kunstwerk muß exemplifizierenden Gehalt haben, muß in seiner Einmaligkeit die Einheit und Universalität des Gesamtgeschehens aufweisen können“, beginnt schon das erste Stück, „Eine methodologische Novelle“, entstanden 1917, siebente Fassung 1949, hier in der dritten Fassung nachgedruckt, weil sie der Erstveröffentlichung entspricht. Ja, die vielen Fassungen scheinen den Leser, ohne daß er sie kennt oder auch nur von ihnen weiß, aus der Fassung zu bringen. Die Pedanten einer absolut richtigen Darstellung imponieren ihm nur, aber sie interessieren ihn nicht. Broch erarbeitet in diesem kleinen Erzähl-werk vor den Augen des Lesers das Entstehen einer Geschichte, ihrer Willkür von Gnaden des Autors und / die Problematik seiner Autorisierung zu solchem Tun. Wir wissen, daß Hermann Broch bis zuletzt und eben vom Anfang an sich zwar zu erzählen erlaubte, ohne aber den Glauben an das Erzählte zu erlauben. Er erteilte dem Leser nie eine unbedingte Venia legendi, die erzählte Lektüre sollte die Erlaubnis für sie prinzipiell in Frage stellen. Doch der Lern- und Denkeifer der Leserschaft ist begrenzt.

DIE KUNST DES MÜSSIG-GANGS. Von Hermann Hesse. 377 Seiten. — BARBARA UND ANDERE NOVELLEN. Von Hermann Broch. 381 Seiten. Beides: suhrkamp taschenbuch, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 1973.

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