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Ein später Expressionist?

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Vor 25 Jahren — mitten in der Trümmerwelt, die die gelehrigen Schüler Georges Sorels als Früchte ihrer barbarischen und unmenschlichen Politik zurückgelassen hatten — begann in Wien eine Buchreihe „Stimme aus Österreich“ zu erscheinen, die kein Geringerer als der langjährige Mitarbeiter von Karl Kraus — Leopold Liegler — herausgab. In dieser heute leider völlig vergessenen Reihe des Erwin-Mül-

; ler-Verlages erschien eine großartige Novelle von Theodor Sapper: „Kornfeld.“ Sie schildert,

j wie der arbeitslose Paul Kornfeld

j in den Augusttagen des Jahres

' 1932, „als eine Weltsituation sich langsam anbahnte und vorberei-

i tete, zu deren Folgeerscheinung der furchtbarste aller Weltkriege gehören sollte“, notwendig in Wahnsinn verfallen und zugrunde gehen mußte. Seme arme,

i schwache Seele wurde in „den darwinistischen Gedankengängen vom erbarmungslosen Daseinskampf“ verstrickt, „die in den Jahren vor 1945 die bisher größte

| Zahl armer Menschenopfer gefordert haben“.

Diese 1947 erschienene, aber viel früher konzipierte Novelle bezeugt in ihrer ethischen und sprachlichen Haltung einen Dichter, der den menschliehen und künstlerischen Anruf dies Expressionismus sehr ernst genommen hat und von ihm ebenso geformt worden ist wie durch die Schule von Karl Kraus. Er durfte in seiner Jugendzeit mit so bedeutenden Menschen wie Däubler, Ehrenstein, Haninger, Anton Kuh, Broch, Canetti, dem Gleichaltrigen, und dem Maler Thöny umgehen. Dieser Autor, der am 16. September 1905 in Feldbach in der Steiermark als Sohn eines Grazer Universitätsprofessors zur Welt gekommen ist, legt in den wenigen Veröffentlichungen, die wir von ihm kennenlernen durften — sein Drama „Erotik des Hasses“ aus den dreißiger Jahren ist total verschollen, seine Versbände „Schmerz vor Tag“ und „Alle Trauben und Lilien“ sind 1957 beziehungsweise 1967 erschienen — immer wieder davon Zeugnis ab, daß er als christlicher Humanist sein Nein zu jener „darwinistischen Welt des totalitären Faschismus“ sagte. Er reagierte sehr scharf und empfindlich auf jene Todes- und Angstwelt, in deren Mitte er sein Hauptwerk „Kettenreaktion Kontra“ zu schreiben begann, einen „Antiroman“, wenn man will, der nur — gleich James Joyce — den „Bewußtseinsstrom“ seines Helden Pfingster in einem breiten „Assoziationsgeflecht von Gedanken und Empfindungen“ widergibt den Strom eines ethischen Bewußtseins allerdings, das den Aktionen der faschistischen Mörderwelt die „Kettenreaktion“ der Auflehnung entgegensetzt.Dieser „Roman“, der seine geistige Kraft und Schönheit aus den Metamorphosen des Wortes, des „Logos“, nimmt, wartet nun schon fast ein Vierteljahrhundert auf seinen Verleger. Als Kronzeugen für seine künstlerische und geistige Dignität kann Theodor Sapper so große Namen wie Hermann Broch und Elias Canetti, die das Manuskript mit höchstem Lob und voller Zustimmung bedachten, und den großen Gütersloh-Schüler Ernst Fuchs anführen. Schon die Gedichte Sappers haben in dem Maler verwandte Stimmung und Assoziationen zu seiner „Architectura coelestis“ erweckt, so daß er sich entschlossen hat, einen Gedichtband des Autors, „Hermes Trismegistos“, der im Herbst im Residenz-Verlag erscheinen wird, zu illustrieren. Er fühlt sich aber auch seit mehr als zwei Jahrzehnten dem Romanwerk Sappers verbunden und hat deshalb dem Dichter die Gelegenheit geboten, durch eine Lesung Teile aus „Kettenreaktion Kontra“ bekannitzumachen. Sapper las einen kurzen Einleitungsteil und konfrontierte dann das Publikum mit einem großen Kapitel, das eine „Nekya“ — eine Höllen- und Todesfahrt — des Helden darstellte, ganz im Sinne Johann Georg Hamanns, der die Selbsterkenntnis als „Höllenfahrt“ bezeichnet hat. Daß Sappers Liebe in den letzten Jahren immer mehr der spanischen und deutschen mystischen Schule sowie den „Hermetikern“ von der Spätantike bis zur Gegenwart gilt, kommt nicht von ungefähr, sondern ist eine logische Entwicklung der besten Tendenzen der expressionistischen Schule, der er sich nach wie vor verpflichtet weiß. Man sollte meinen, daß in einer Zeit, die von den „goldenen zwanziger Jahren“ schwärmt und fleißig ihre Werke reproduziert, sich ein Verleger für dieses großartige Buch interessieren müßte, sowohl in Österreich als auch anderswo.

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