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Schweigt Gott?

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Die jüngste Herbstsensation Schwedens, Ingmar Bergmans „Tystnaden“ — „Das Schweigen“ — muß man natürlich gesehen haben. Bergman hat es ja erreicht, daß man, wie bei jedem neuen Roman Pär Lagerkvists, weit über das bloße Ereignis hinaus, sozusagen „weltanschaulich“ gespannt ist: beide stehen im Ruf, die Nervenpunkte des modernen intellektuellen Lebens zu treffen. Der Abend war dennoch eine einzige Enttäuschung.

Es handelt sich um ein weibliches Ge- schwisterpaar, eine ältere Autorin mit Reiseschreibmaschine, an Tuberkulose erkrankt, die aber Macht über die jüngere ausübt, offenbar auch im lesbischen, hier also inzestuösen Sinn. Die Jüngere, in Begleitung ihres etwa siebenjährigen Söhnchens (wer und wo ist der Vater?) sucht sich von dem grausamen Griff zu befreien, vor allem durch eigene erotische Abenteuer. Die drei reisen in ein fremdes Land, dessen Sprache sie nicht verstehen. Wir sehen sie im fahrenden Zug, später in den eleganten Zimmern und weitläufigen Korridoren ihres Hotels, wo sich die

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Das ist alles sehr filmwirksam, mit der gewohnten Kameraraffinesse Bergmans und bester schauspielerischer Leistung (Ingrid Thulin, als die ältere, Gunnel Lindblom als die jüngere Schwester) inszeniert. Aber wer empfindet bei diesem exklusiven Spezialfall auch nur eine Spur

persönlicher Anteilnahme? Wer erträgt auf die Dauer die sich ständig wiederholenden hysterischen Anfälle der Älteren, die sich bis zum drohenden Erbrechen und eventuell eintretenden Tod steigern? Sie treten jedesmal ein, wenn die eifersüchtige Ältere ihre Schwester auch nur nach Männern ausschauen sieht oder einen Mann erwähnt hört. Dann liegt sie quer über dem riesigen Daunenbett, ergeht sich in krampfhaften Verrenkungen und Übelkeit erzeugenden Artikulationen, und niemand steht der Hysterika bei als ein sehr langer weißhaariger Stuart, der hier die humane Güte vertreten soll.

So sieht die neueste Schöpfung Bergmans aus! Sie scheint die Auflösung dieser oft genialen oder originellen, aber künstlerisch und menschlich zweifelhaften Produktion zu bedeuten. Kaum hätte jemand aus dem Film selber den Titel „Das Schweigen“ erraten können, wenn uns nicht eine persönliche „Erklärung“ Bergmans darüber informiert hätte, daß damit „Gottes Schweigen“, das heißt Gottes Absenz gemeint sei, die die von ihm abgekehrte Welt zur Hölle mache. Das ist ja ein wertvoller Hinweis! Aber er müßte nicht allein motivisch im Werk selber gestaltet sein, sondern auch für die Handhabung der Regie Konsequenzen zeigen. Auf diesen Film angewendet, gleicht die Erklärung den moralischen Mätzchen gewisser schwedischer Bildzeitschriften, die mit Vorliebe Nacktheiten zeigen, um das Verderbliche etwa von Miß Keeler zu illustrieren, mit dem anderen Auge aber auf entsprechenden Absatz hinschielen. Auf ähnliche Art glaubt Bergman vielleicht, dem Publikum im weitesten Ausmaß gerecht zu werden, erreicht aber kaum etwas anderes, als daß ein solches Machwerk den Zuschauer entweder völlig unberührt läßt oder einfach abstößt.

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