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Das bedrängte Genie

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EIN LEBEN IM WIDERSPRUCH. Briefe von Charles Baudelaire. Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Hannelise Hinderb er -ger. Verlag Jakob Hegner, Köln 1969, 288 Seiten, DM 15.80.

Charles Baudelaire (1821 bis 1867), der größte französische Lyriker des 19. Jahrhunderts, Initiator des Symbolismus und der sogenannten „De-cadence“, ein wahrer „poete maudit“, hat ein unglückliches Leben geführt. Schon frühzeitig wegen seines Leichtsinns unter Vormundschaft gestellt, wurde dieser, mit den „künstlichen Paradiesen“ der Narkotika sehr vertraute geniale Bohemien, der nach' der Lebenshaltung eines Dandy strebte, von Krankheiten, verhängnisvollen erotischen Bindungen, ständigen Schulden und vielerlei Konflikten mit seiner Umwelt bedrängt. Aus seinen die Zerrissenheit seiner Existenz spiegelnden Briefen wurde eine Auswahl getroffen, deren biographisches Leitmotiv nach den Worten der Herausgeberin „Geldschwierigkeiten und allgemeine Unlust“ ist — wohl zu harmlos.

Ein großer Teil der Briefe ist an die Mutter gerichtet (sie hatte sich zum zweitenmal verheiratet: Ursache heftiger Spannungen), die übrigen an Baudelaires Verleger und andere Zeitgenossen, wie Gautier, Victor Hugo, Whistler, Richard Wagner. Flaubert und Swinburne. Es mag vielleicht manchen Leser enttäuschen, daß es hier sehr oft um Geld geht — ähnlich wie in den Briefen Oscar Wildes aus seinen letzten Jahren —, doch hinter diesen materiellen Nöten verbergen sich solche geistiger Natur. Baudelaires Schicksal ist gekennzeichnet durch den tragischen Gegensatz zwischen, seiner hohen künstlerischen Leistung und der Unfähigkeit, sein Leben auch nur einigermaßen zu ordnen, zwischen Vollkommenheitsstreben im Dichterischen und Unterließen gegenüber den Erfordernissen des Alltags — das Genie in Größe und Hilflosigkeit. Sein Gedicht „Der Albatros“ hat dieser Tragik gültige Gestaltung gegeben.

Seine künstlerische Gewissenhaftigkeit war groß. Da heißt es einmal: „Ich habe mein ganzes Leben damit zugebracht zu lernen, wie man Sätze bildet, und ich sage ohne Furcht, mich lächerlich zu machen: was ich einer Druckerei abgebe, ist vollkommen fertig.“ Als sein Hauptwerk erschien, schrieb Baudelaire an seine Mutter: „Doch dieses Buch, dessen Titel ,Fleurs du Mal' alles sagt, ist, wie Sie sehen werden, von unheilvoller und kalter Schönheit. Es ist mit Raserei und Geduld geschrieben worden.“

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