7105159-1995_27_18.jpg
Digital In Arbeit

Ein Rufer aus dem Orient

Werbung
Werbung
Werbung

Als ich Emile M. Cioran Ende der sechziger Jahre ein Paris besuchte, sagte er mir sehr bald energisch: „Ich interessiere mich nur mehr für religiöse Probleme.” Wir haben oftmals viele Stunden über die jeweils aktuelle politische Situation in Frankreich, Österreich, England, Deutschland gesprochen, ausführlich auch von den kommunistischen Ländern, natürlich von Rumänien. Cioran war noch als Bürger Kaiser Franz Josephs geboren in einem Dorf nahe von Hermannstadt. Seine Mutter sagte ihm später einmal: „Dein größter Fehler war, daß Du nicht deutsch zu schreiben begonnen hast.”

Cioran lebte von früh an, seit seiner Gymnasialzeit, in Opposition, geschlagen von fast unaushalt-barer Schlaflosigkeit. Sein obsessiver Negativismus, seine tief ins Absurde reichende Skepsis, seine hohnsprühende Apokalyptik hatten natürlich gno-stisch-bogumilische Ahnen, und in ein frühes Buch schrieb er mir, er hoffe, daß ich die „balkanischen Stellen dieses Buches nicht mit zu großer Abneigung lesen werde”. Der byzantinische Orient war bei ihm immer nahe, mitsamt dem Doppeladler, der Konstantinopel mit dem alten Österreich verband. Alexandrien und Wien, wir lachten oft über die heimlichen Gemeinsamkeiten. Cioran sah sich als „positiven und hilfreichen Menschen”, und genau das war er auch: Unsere Gespräche vor finsterstem Weltpanorama habe ich immer ermutigt, gestärkt und beruhigt verlassen.

Im siebenten Stock der Rue de l'Odeon 21 saßen wir in knarrenden Korbfauteuils, mit dem Blick über die Dächer auf den Himmel, und die Freude über unser Einanderverstehen, über unser Durchwandern der historischen und geographischen Horizonte verbreitete eine rettende und sturmsichere Behaglichkeit. Die menschliche Begegnung, die Freundschaft war ein Hier und Jetzt, ein uns stets möglicher Kontrast zum „düsteren Urteil, das wir über die Welt fällten” (aus einer anderen Widmung).

E. M. Cioran empfand seinen absoluten Negativismus als ersten Schritt eines Befreiungsaktes: Was nun folgte, konnte nur positiv sein, und das waren vor allem die menschlichen Erlebnisse im gar nicht so kleinen überschaubaren Bereich, gegenseitige Hilfe. Das alles waren Lichtpunkte in einem stets geschehenden Krieg. Mit seinem Lachen übertrugen sich Lebensfreude und eine Dankbarkeit für die hellen Augenblicke vor dem Hintergrund des Weltelends, von dem wir wissen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung