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Sonne der feinen Herrn

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Die Problematik im „Bürger als Edelmann“ von Moliere — das Stüde wird 1970 seinen 300. Geburtstag feiern — ist keineswegs veraltet. Das Streben nach dem Status einer bessergestellten Klasse gibt es in so gut wie einer jeden Gesellschaftsordnung; auch das Schlagwort von der „Egalite“, das seit der Französischen Revolution in der Terminologie aller „Fortschrittlichen“ wiederkehrt, hat ein bestimmtes Oben und Unten noch in keiner Gesellschaft zu beseitigen vermocht, nicht in der kapitalistischen Wohlstandsgesellschaft etwa der Vereinigten Staaten von Amerika, wo Einkommenslagen und der Besitz bestimmter Automobiltypen strenge Standesgrenzen schaffen, noch in der kommunistischen Zwangswelt, wo die Zugehörigkeit zu den oberen Zehntausend durch Mitgliedschaft im Politbüro oder durch propagandabereite Schriftstellerfederführung gewährleistet erscheint. Lachen wir deshalb nicht zu laut über diesen Monsieur Jourdain von Moliere, diesen Bürger in der Epoche der gottähnlichen Königsauftritte, in der der Edelmann von der Sonne intensiver bestrahlt wurde als die anderen, weswegen einem Edelmann zu gleichen zur starken Triebkraft jeglicher bürgerlichen Karriere werden mußte. Der Bürger Jourdain hält sich einen Musikmeister, einen Tanzmeister, einen Fechtmeister und gar einen Philosophen, um es den Adeligen gleichzutun; er möchte einer Baronin Herzensgunst gewinnen, und er möchte seine Tochter nur einem Adeligen geben, ganz aus diesem Grunde begreiflichen und legitimen kleinmenschlichen Ehrgeiz, die als ungerecht empfundene Nicht- Egalite zu überwinden. Daß bei diesem eigentlich tragischen Problem viel komische Praxis herausschaut — auch das wird heute wie damals offenbar: ist doch das Bei- und Miteinander von Schmerzlichem und Lächerlichem Quintessenz unseres Lebens — und damit auch jeglichen Bühnenspiels, das aus diesem Leben schöpft.

Die Neueinstudierung des „Bürgers als Edelmann“, mit dem das Stadttheater Bern die Schauspielsaison 196869 eröffnete, war zugleich eine linguistische Uraufführung: man bekam die neue Übersetzung von Hans Weigel zu hören, der, ein Karl-Kraus-Schüler im Gefühl für die Wortgestalt, einen sehr werkgetreuen und gleichzeitig aus deutschem Sprachempfinden gemeisterten Text geschaffen hat. Die Handlungsarmut dieses Stückes konnte er damit nicht besiegen: dies gelang auch Dieter Stürmer nicht, der sich im Gegensatz zu seiner sonstigen Liebe für Inszenierungstaten diesmal auf konventionell-klassische Ausdeutung im prunkvollen Bühnenbild und nicht minder kostspieligen Zeitkostümen von Ulrich E. Milatz beschränkte. Figürlich war Günter Gube in der Titelrolle durchaus am Platz. In den Ballettszenen gefiel natürlich der Türkenjux am besten. Theo Hugo dirigierte das Berner Konservatoriumsorchester mit viel Geschmack. Die Musik J. B. Lullys entbehrt freilich einer wirklichen Zündkraft, ist höfisch und etwas langweilig.

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