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Eine wissenschaftlich erarbeitete Biografie-Collage zu William Shakespeare.

Wie fühlt sich über Jahre hinweg ungestillte Sehnsucht an? Wie sehr treibt Ehrgeiz? Wie weit prägt der Hunger nach erzählbaren Geschichten den Alltag? Wie ist das, Angst haben zu müssen? Wie lebt es sich im Schatten der Galgen, umgeben von Spitzeln, und wie entsteht aus alledem Kunst?

Stephen Greenblatt, der fundierte Kenner der elisabethanischen Welt, stand vor dem Problem, einen Schriftsteller, der über Jahre hinweg nur in seinem Werk aufspürbar ist, als lebendigen Menschen, historisch fundiert, wissenschaftlich unantastbar abzubilden.

Leben erzählt

Also ein Buch für Literaturwissenschaftler, Dramaturgen, Theaterfreaks? Mitnichten. Denn aus einem lückenhaft belegbaren Lebenslauf wird nicht die Geschichte des Dramatikers Shakespeare, sondern die Biografie des Mannes William rekonstruiert.

Sorgsam bemühte sich der in Harvard lehrende Fachmann, einen feinen Strich zwischen möglicher Fiktion und tatsächlicher Begebenheit zu ziehen. Deshalb ist dies keine weitere Sekundärliteratur zu einem überragenden Opus - trotz bibliografischem Anhang und knappen Zusatzerklärungen. Hier wird von einem Menschen erzählt, der nicht nur talentierter als seine Kollegen schreibt, sondern zur Stimme Unzähliger wird, ungeachtet ihrer Herkunft, ungeachtet aber auch der Zeit, in der sie leben. Will hat "das Talent des Usurpators, eine beunruhigende Fähigkeit zum Plündern, Aneignen und Absorbieren."

Fakten und Variationen

Shakespeare ist es, von dem sich Greenblatt führen lässt, als fülle ein Maler, vom Zeichner geleitet, eine Schwarzweißgrafik mit Farbe aus. Immer ist erkennbar, was Faktum ist, aber die angeführten Variationen sind bestechend und überzeugen.

Alles, was das Kind, den Jugendlichen, den jungen Mann beeinflusst haben muss, erzeugt einen opulenten Strauß an (immer belegten!) aufregenden Bildern. Wie aber entwickelte sich die Fähigkeit, als Erzähler überall und nirgends zu sein, so unterschiedliche Positionen einzunehmen, so beeindruckende Sprachbilder zu schaffen, dass noch Jahrhunderte später der Poet Shakespeare als Maß der westlichen Literatur gilt?

Angst und Sehnsucht

Greenblatt spürt dem allem nach, der Angst vor den Henkern, dem Gaudium des Mobs, dem lustvoll erlebten Grauen in einer Gesellschaft, in der es schon tödlich sein konnte, in der falschen Bibelausgabe zu lesen. Die innere Emigration Shakespeares in Glaubensdingen wird leicht nachvollziehbar, seine unstillbare Sehnsucht nach erfüllter Liebe, das offensichtliche Fehlen einer beglückenden Partnerschaft, das Talent, gut zu überleben im Gegensatz zu seinen vielen Kollegen.

Shakespeare speichert alles, was er sieht, hört, riecht, erlebt, versetzt sich mühelos in die Existenz anderer. Selbst das, was sich an Rezeption geändert hat (Greenblatt erklärt Lücken und Absonderlichkeiten akribisch), kann Shakespeare nicht wirklich von uns ferne halten.

Die Nähe von Trauer und überbordender Fröhlichkeit dieses Menschen, seine erfahrene Einsamkeit und maßlose Neugier, sein Wissensdurst und Wunsch, den Zwängen der eigenen Gesellschaftsklasse zu entkommen, gepaart mit dem Talent und der Gier, das richtige Wort, den perfekten Ausdruck für alles in dieser Welt zu finden, das alles löst Stephen Greenblatt aus seinen Quellen und formt damit ein bestechend überzeugendes Porträt.

Will in der Welt

Wie Shakespeare zu Shakespeare wurde

Von Stephen Greenblatt

Berlin Verlag, Berlin 2004

507 Seiten, geb., e 25,50

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