Ach, was regten wir Kämpfer für Qualität im Fernsehen uns einst - genauer: vor vier Jahren - auf, als der deutsche Trash-Kanal RTL II mit dem Voyeur-TV anfing. Angeführt von Speerspitzen feinsinniger Kulturdiagnose befürchteten viele Gefahr fürs Abendland durch die Container-Show Big Brother.
Doch die Journaille ist eine wankelmütige Zunft, und schon mitten im Ur-Big Brother kam das deutschsprachige Feuilleton auf den Geschmack: Es handelte sich da ja um ein neues (Un-)Kulturphänomen, und für die Analyse desselben fühlten sich Edelfedern jedweder Provenienz zuständig.
So kam es, dass eine Zeit lang Zlatko Trpkovski, ein arbeitsloser Mechaniker, nicht nur das TV-Publikum, sondern auch die Damen und Herren Kulturkritiker beschäftigte. Besonders am Puls der Zeit Befindliche kreierten sogar das Wort "Zladdismus", um das Phänomen in einen Begriff zu fassen. Doch bald, sehr bald war es damit auch wieder zu Ende: Und wer weiß heute noch, wer und wo Zlatko ist?
Je länger Unerhörtes dauert, umso weniger unerhört wird es: Das Feuilleton hat sich längst von Big Brother verabschiedet, nicht aber das Publikum: Die fünfte Staffel des "Sozialexperiments" läuft zur Zeit - Halbzeit des auf ein Jahr (!) ausgedehnten Projekts. 1,6 Millionen geben sich die tägliche Zusammenfassung auf RTL II, die Big Brother-Internetseiten boomen; der Pay-TV-Sender Premiere überträgt 24 Stunden live und hat 340.000 Tages- und Monatstickets verkauft, und Tele 5, das die Nächte aus dem Big Brother-Haus live bringt, freut sich über nocturne Quoten-Hochs.
Staffel Nr. 6 ist schon angedacht und soll am besten in einem Freizeitpark stattfinden, wo man gegen Eintritt die Big Brother-WG wie im Zoo betrachten kann.
Vielleicht hat unsere Kultur sich diese Entwicklung ja verdient. Dennoch merkwürdig: Auf den Aufschrei, zumindest: die warnende Zeitdiagnose der Kulturbeobachter warten wir bislang vergebens.
