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Balanceakt zwischen Christlichsozialen und Rechtsradikalen

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Mit dem ehemaligen Bundeskanzler Julius Raab werden in der österreichischen Zeitgeschichte zahlreiche politische Errungenschaften der Zweiten Republik - vom Wiederaufbau bis zum Staatsvertrag - in Zusammenhang gebracht. Spontan fällt einem bei dem Namen Raab aber auch das Bundesland Niederösterreich ein. Einmal weil er selbst Niederösterreicher war und hier seine ersten politischen Erfahrungen gesammelt hatte. Raab war auch als Bundespolitiker Niederösterreicher geblieben, was heißen soll, daß er der Tradition, aus der er seine weltanschaulichen Vorstellungen geschöpft hatte, immer verpflichtet blieb. Grund genug, sich im Rahmen dieser Beilage eingehender mit einem Kapitel aus Julius Raabs politischem Wirken zu beschäftigen. Unterlage für diesen Bericht ist eine Hausarbeit am Wiener Institut für Zeitgeschichte bei dem kürzlich verstorbenen Univ.-Prof. Ludwig Jedlicka. Die Verfasserin der Hausarbeit, Liselotte Hübner, untersuchte Julius Raabs Tätigkeit in der niederösterr. Heimwehr

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Mit dem ehemaligen Bundeskanzler Julius Raab werden in der österreichischen Zeitgeschichte zahlreiche politische Errungenschaften der Zweiten Republik - vom Wiederaufbau bis zum Staatsvertrag - in Zusammenhang gebracht. Spontan fällt einem bei dem Namen Raab aber auch das Bundesland Niederösterreich ein. Einmal weil er selbst Niederösterreicher war und hier seine ersten politischen Erfahrungen gesammelt hatte. Raab war auch als Bundespolitiker Niederösterreicher geblieben, was heißen soll, daß er der Tradition, aus der er seine weltanschaulichen Vorstellungen geschöpft hatte, immer verpflichtet blieb. Grund genug, sich im Rahmen dieser Beilage eingehender mit einem Kapitel aus Julius Raabs politischem Wirken zu beschäftigen. Unterlage für diesen Bericht ist eine Hausarbeit am Wiener Institut für Zeitgeschichte bei dem kürzlich verstorbenen Univ.-Prof. Ludwig Jedlicka. Die Verfasserin der Hausarbeit, Liselotte Hübner, untersuchte Julius Raabs Tätigkeit in der niederösterr. Heimwehr

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15. Juli 1927: Aufgeschreckt durch das Urteil im Schattendorfer Prozeß demonstriert die Wiener Arbeiterschaft. Es kommt zur blutigen Eskalation mit der Staatsgewalt. Der Justizpalast wird angezündet. Für das Bürgertum gleichsam das Signal, sich für die große Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu wappnen, aufzurüsten! Für die niederösterreichische Heimatschutzbewegung eine willkommene Gelegenheit, die internen Schwierigkeiten zu überspielen und mit geschlossenen Reihen diesem Gegner gegenüberzutreten. Tatsächlich: Die niederösterreichische Heimwehr erwacht erst nach diesem 15. Juli zu wirklichem Leben, die Gründung von Ortsgruppen geht rasch voran, der Zustrom zur militanten Organisation des Selbstschutzverbandes ist so groß wie nie zuvor.

Doch es fehlt dem Heimatschutzverband an einer führenden Persönlichkeit. Da weist Bundeskanzler Seipel dem jungen niederösterreichischen Nationalratsabgeordneten Ing. Julius Raab den Heirrtatschutzver- band Niederösterreich als neues Betätigungsfeld zu. Raab soll die Bewegung im Sinne der christlichsozialen Partei führen und den Einfluß des radikalen,deutschnationalen steirischen Heimatschutzes einzudämmen versuchen, der vor allem im Südgebiet Niederösterreichs Fuß gefaßt hatte.

Am 8. September 1928 wird Raab auf einer Bundesleitungssitzung der Heimwehr zum Landesführer für die niederösterreichische Bewegung bestellt, sieben Tage darauf wird seine Wahl in Niederösterreich bestätigt. Die Bestellung Raabs als Landesführer ist als taktischer Schachzug des Heimwehr-Bundesführers Doktor Richard Steidle zu werten. Dieser erkannte die Gefährlichkeit des radikalen steirischen Heimatschutzes, vor allem dessen Führers, Dr. Walter Pfrimer, der am 18. Juli 1928 zum zweiten Bundesführer der Heimwehr gewählt worden war. Steidle will nun in Niederösterreich einen Mann, der nicht unter steirischem Einfluß steht.

Innerhalb kurzer Zeit schafft Raab, was man in- und außerhalb der niederösterreichischen Heimwehrbewegung kaum für möglich hielt. Er schlichtet den internen Parteienhader der rivalisierenden Selbstschutzverbände des Landes, dämmt die Übergriffe der benachbarten Bundesländerverbände ein und errichtet ein einheitliches Organisationsgebiet Dabei hat Raab zwei große Ziele vor Augen: Er versteht den niederösterreichischen Verband vor allem als antimarxistische Bewegung. In diese Richtung lenkt er selbst dann noch, als die übrige Heimwehr längst nicht mehr mit der bloßen Abwehr des Marxismus zufrieden ist und sich eine eigene Ideologie zurechtzimmert.

Zweiter Schwerpunkt: Raab arbeitet eng mit den bürgerlichen Parteien zusammen, vor allem mit den Christlichsozialen, und verwirft alle weiterreichenden staatspolitischen Ziele sowie radikalen Auswüchse. Im Gegensatz zu den anderen Heimwehr- Führern hält Raab in politischen Forderungen zurück, steckt das Aufgabenfeld gegenüber den politischen Parteien somit genau ab, sieht in der Heimwehr die Bewegung, die die Forderungen der politischen Parteien unterstützen und nicht eigenmächtig Politik betreiben soll.

Die niederösterreichische Heimwehr erlebt unter der Führung von Ing. Raab einen großartigen Aufschwung. Doch noch ist Niederösterreich in zwei Einflußsphären geteilt Raab geht vorerst ideologisch vor: dem radikal deutschnational und gegen die Parteien eingestellten Heimatschutz, der unter steirischem Einfluß steht, stellt er als Alternative das österreichertum der niederösterreichischen Heimwehr entgegen. Nachdem Raab die Bewegung organisatorisch und programmatisch gefestigt hat, setzt er sich mit den „Steirern” auch an den Verhandlungstisch: das niederösterreichische Organisationsgebiet soll vereinheitlicht werden. Im März 1929 gelingt das Vorhaben: Niederösterreichs Heimwehr unter Raab und der niederösterreichische Heimatschutzverband vereinigen sich zum „Heimatschutzverband Niederösterreich”. Raab wird Landesführer, ein Vertreter Pfrimers, Architekt Hermann Kubacsek, sein Stellvertreter.

Die erhoffte Zusammenarbeit kommt trotzdem nicht zustande. Die steirische Richtung spricht von einem Waffenstillstand, einer Respektierung der Einflußsphären, keineswegs jedoch von Kooperation. Niederösterreich bleibt in zwei Organisationsgebiete geteilt!

Am 5. Mai 1929 erfüllt sich ein persönlicher Wunsch Raabs: Eine gewaltige Heimwehr-Versammlung in St. Pölten wird zu einem großen Erfolg und Raabs Heimatstadt somit zu einem Zentrum der Heimwehrbewegung. Ohne größere Zusammenstöße mit den politischen Gegnern geht die Werbeversammlung zu Ende. Trotz dieser Erfolge gefährdet die zunehmende Radikalisierung im Zuge der Verfassungsreformbestrebungen jedoch Raabs Position als Landesführer. Da tritt der niederösterreichische Bauernbund mit über 100.000 Mitgliedern kooperativ in den Heimatschutzverband Nö ein, das christlichsoziale Element scheint wieder gestärkt, Raabs Stellung gefestigt, die antiparlamentarischen Strömungen scheinen eingedämmt.

Doch die Radikalen geben nicht auf und sägen weiter am Sessel Raabs, denn er hat die Heimwehr endgültig in drei unterschiedlich eingestellte und taktierende Bewegungen gespalten:

• der parteifeindliche und deutschnationale steirische Heimatschutz unter Pfrimer, der die Aufhebung dès Parteienstaates auch mit Gewalt fordert;

• Bundesführer Steidle und seine Anhänger, die ebenfalls auf die Überwindung des Parteienstaates hinarbeiten, dabei aber einen evolutionären Weg suchen und die bürgerlichen Parteien auszuhöhlen versuchen;

• die niederösterreichische Heimwehr unter Raab, die sich in erster Linie als Stütze der bürgerlichen Parteien -vor allem der Christlichsozialen - versteht.

Im Laufe des Verfassungskampfes kommt es zum großen Krach. Bundeskanzler Schober, der die Verfassungsreform auf demokratischem Weg, in Verhandlungen mit den Sozialdemokraten erreicht hat, stößt auf schärfsten Widerstand der Heimwehr, die jetzt selbständig auf die Errichtung des Ständestaates hinzielt. Raab vermeidet zu diesem Zeitpunkt eine Stellungnahme zum Ständestaat, schließt sich in seinem Kommentar dem konservativen Flügel seiner Partei an und hält dadurch an seinen politischen Maximen fest. Die Folge: Raab gerät zunehmend in eine isolierte Stellung innerhalb der gesamtösterreichischen Heimwehr.

Die Gauführersitzung am 19. Jänner 1930 in Wien wird mit Hilfe der christlichsozialen Partei, die alle ihre Kräfte mobilisiert hat, zu einer großen Vertrauenskundgebung für Raab. Doch das Kesseltreiben gegen ihn ist noch lange nicht vorbei. Am 18. Mai wird die Generalversammlung der Bundesführung nach Korneuburg einberufen. Die Kontroverse zwischen Steidle und Pfrimer war zuvor wieder in voller Schärfe ausgebrochen, und nur allzuleicht konnte dabei auch der „Einzelgänger” Raab unter die Räder kommen.

Denn in Korneuburg geht es nicht allein um das Schicksal Raabs, sondern auch um die Position Steidles. Schließlich war die Lage in Niederösterreich eng mit der Frage verbunden, welche Richtung der Heimwehr sich in Zukunft durchsetzen werde: Wenn Raab fiel, würde sich der steirische Heimatschutz über ganz Niederösterreich ausbreiten und Pfrimers Machtzuwachs würde letzten Endes auch Dr. Steidle den Kopf kosten. Doch Raab war für Steidle nutzlos, wenn er weiterhin auf dem reinen Abwehrgedanken verharrte. Er mußte Raab also für aktives Heimatschützer- tum gewinnen. Das gelang ihm mit Hilfe der zwölf Punkte des Heimwehrprogrammes, denen Raab zustimmte. Als einziger ging der Niederösterreicher jedoch nicht auf den stark faschistisch angehauchten Inhalt des Programmes ein, was ihm in Zukunft die Auslegung auf seine Weise ermöglichte.

Steidle war es in Korneuburg gelungen, einen Alleinvorstoß Pfrimers abzufangen. Raab blieb niederösterreichischer Landesführer. Aber nun hatte der Kampf mit den Parteien um die Macht im Staat endgültig begonnen.

Während Steidle den Bruch mit den bürgerlichen Parteien scheute, wollte Raab in Korneuburg nicht mit der Heimwehr brechen. Nun, da die Heimwehr dem Parteienstaat den Kampf ansagte, war ein verläßlicher Mann wie Raab überaus wichtig für die christlichsoziale Partei. Unter diesem Gesichtspunkt ist Raabs Zustimmung zum Korneuburger Programm zu sehen. Raab ging in den folgenden Reden auch niemals auf den wahren Inhalt des Programmes ein, sondern griff nur einen Punkt heraus, den er schon immer als Hauptaufgabe der Heimwehr angesehen hatte: den Kampf gegen den Marxismus!

Die nächste Kraftprobe folgte auf dem Fuß: die Waffenpatentnovelle. Das westliche demokratische Ausland machte einen weiteren Kredit von der Entwaffnung der Privatarmeen abhängig, was bei der Heimwehr natürlich auf schärfsten Widerstand stieß. Doch die bürgerlichen Parteien ließen sich ihre Handlungsfreiheit nicht von der Heimwehr einschränken, besonders nachdem die Heimwehr eigenmächtige Wege einschlug. Die Heimwehr hoffte, die Novelle mit Hilfe der ihr nahestehenden Parlamentarier zu Fall zu bringen, was nicht gelang. Einzig Raab und Rintelen stimmten dagegen, die Novelle wurde angenommen. Dabei hatte die Parteiführung für Raab und die anderen Abgeordneten, die der Heimwehr angehörten, den Clubzwang aufgehoben, um sie nicht wieder erneuten Angriffen auszusetzen.

Raab handelt in der Folge weiterhin im Sinne seiner Partei, er steht auf der Seite der Gemäßigten in der Heimwehr, während Pfrimer nach dieser Niederlage die völlige Loslösung von den Parteien und die Aufstellung einer eigenen Heimwehrpartei fordert.

Am 2. September 1930 findet eine Heimwehr-Versammlung in Schlad- ming statt, bei der Dr. Steidle und Dr. Pfrimer abgesetzt und auf Vorschlag Raabs Fürst Starhemberg zum neuen und alleinigen Bundesführergewählt wird. Nach anfänglichen Kontroversen mit Pfrimer arrangiert sich der neue Bundesführer mit dem steirischen Heimatschutz, und statt die bürgerlichen Parteien bei den bevorstehenden Nationalratswahlen zu unterstützen, platzt Starhemberg mit der eigenen Liste „Heimatblock” in die Öffentlichkeit. Raab stellt sich gegen die Heimwehr-Liste und unterstützt im Wahlkampf auch weiterhin die christlichsoziale Partei. Nach den Wahlen, bei denen die Christlichsozialen sieben Mandate an den „Heimatblock” verlieren, kommt es auch zum Bruch zwischen Starhemberg und Raab. Er tritt mit seinen Anhängern aus dem Heimatschutzverband und gründet die „Niederösterreichische Heimwehr”.

Letzlich bringt die Spaltung eine Schwächung der Wehrbewegung, genauso wie die Nationalratswählen die gesamte bürgerliche Front geschwächt hatten. Starhemberg besinnt sich eines Besseren: er verstärkt die Frontstellung zur NSDAP und macht Abstriche bei radikalen Forderungen. Zur Einigung mit Raab kommt es dennoch nicht: Starhemberg lehnt weiterhin jede Bindung an eine Partei ab, während Raab am Naheverhältnis zur christlichsozialen Partei festhält

Nach dem mißglückten Pfrimer- Putsch im Mai 1931, in dessen Folge die Heimatschutzbewegung gewaltig anwächst, kann sich Raab mit seinen Getreuen immer schwieriger behaupten.

Neben dem Antimarxismus und dem Einheitsfrontgedanken betont Raab jetzt immer mehr die Abwehr des Rechtsradikalismus als wesentliche Funktion der Heimwehr. In dem Maße, in dem die bürgerliche Einheitsfront auseinanderbricht, wird der Gedanke der antimarxistischen Front bei Raab und der niederösterreichischen Heimwehr verdrängt durch den Gedanken, eine katholische Front gegenüber dem Marxismus und der deutschnationalen Rechten zu schaffen. Nach den starken Gewinnen der Nationalsozialisten bei den Landtagswahlen im April 1932 rückt Raab immer mehr mit den „Ostmärkischen Sturmscharen” zusammen, die in Tirol vom christlichsozial orientierten Rechtsanwalt Dr. Kurt Schuschnigg gegründet worden waren.

Raab wirkt beim Ausbau der „Niederösterreichischen Sturmscharen” tatkräftig mit, die neben der Heimwehr zu einer mächtigen Bewegung heranwachsen. Dollfuß ist inzwischen an die Regierung gekommen und erhält kräftige Unterstützung von der Heimwehr. Die gespaltenen Heimwehrflügel werden in der Folge wieder vereinigt: Raab hatte sich schon vorher aus dieser Bewegung zurückgezogen.

Je stärker der autoritäre Kurs in der Innenpolitik jedoch deutlicher hervortritt und die inzwischen gebildete „Vaterländische Front” von einer Abwehrbewegung zu einer Staatspartei wird, die die politische Willensbildung monopolisiert, desto mehr distanziert sich Raab von dieser Bewegung. In der „Vaterländischen Front” arbeitet er in Zukunft nicht mehr mit.

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