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CSSR erwartet Tauwetter

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Der tschechische katholische Aktivist Frantisek Adamik hatte mit seiner Berufung Erfolg: Die im Vorjahr erfolgte Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis wurde vergangene Woche auf 14 Monate bedingt auf drei Jahre herabgesetzt. Adamik war wegen Verbreitung religiöser Samisdat-Litera- tur, subversiver Tätigkeit und Aufwiegelung angeklagt worden.

Im Zusammenhang mit dem Fall Adamik sprechen Beobachter von einem „Tauwetter“ in der Tschechoslowakei, was die Vorgangsweise der Behörden gegen Bürgerrechtler und religiöse Aktivisten betrifft. In Wiener Menschenrechtskreisen werden auch die Freilassungen des 27jährigen Katholiken Petr Pospichal am 18. Mai und des evangelischen Pa-

stors Jan Dus am Dienstag vergangener Woche aus der Untersuchungshaft erwähnt. Natürlich — so Wiener Menschenrechtsvertreter gegenüber der FURCHE — bedeutet das noch lange nicht, daß es zu keinen späteren Verurteilungen kommen könnte. Aber immerhin signalisieren die Enthaftungen die Möglichkeit einer liberaleren Religions- und Bürgerrechtspolitik in der CSSR.

Daß eine Überprüfung der Linie des Staates gegenüber Menschen- und Bürgerrechtlern ein Problem der Durchsetzung eines neuen Denkens auf verschiedenen Ebenen ist, zeigt ein Briefwechsel zwischen einem französischen Geistlichen und dem Bürgermeister der südmährischen Bezirksstadt Kromeriz (Kremsier).

Eines Tages stieß der Pfarrer Roger Guėrineau aus der französischen Kleinstadt Chateaudun in seiner Tageszeitung auf eine kurze Notiz über die Verurteilung des mährischen Katholiken Augustin Navratil zu einer psychiatrischen Behandlung. Navratil hatte sich bürgerrechtlich betätigt und sich für seine Kirche eingesetzt.

Für den Pfarrer von Chateaudun liegt Kremsier zwar etwas abseits, ist ihm aber nicht unbekannt. Beide Städte sind seit Jahren partnerschaftlich verbunden. Von Zeit zu Zeit besuchen einander die führenden Repräsentanten, schütteln einander die Hände, veranstalten Festessen und senden bei Feiertagen Glückwünsche. Eine Idylle auf beiden Seiten, könnte man meinen.

Mitten in diese Idylle platzte jetzt der Brief des französischen Geistlichen, den das Schicksal seines Mitbruders Navratil aus dem mährischen Dorf Lutopecny und dessen verfolgter Leidensgenossen beunruhigte. Roger Guėrineau fragte beim Bürgermeister von Kremsier, Milan Vaculik, höflich an, ob sich für die bedrohten Christen nicht etwas unternehmen lasse. In einem Antwortschreiben bemühte sich Vaculik, den Pfarrer aus Frankreich über dessen angeblichen Irrtum aufzuklären. Mit großem Bedauern — so der Bürgermeister — habe er von jener lügenhaften Nachricht in der französischen Zeitung erfahren; und großer Schmerz habe ihn angesichts der Verleumdung der CSSR-Gesetze und der tschechoslowakischen Staatsordnung be-

fallen, die seiner Meinung nach eine kleine Gruppe von Individuen mit Namen „Charta 77“ zu „verantworten“ habe.

Navratil leidet nach den Worten des Bürgermeisters schon jahrelang an einer Geisteskrankheit. Auf keinen Fall handle es sich um die Straftat des Besitzes von religiöser Literatur, da die Religionsfreiheit ja in der Verfassung der CSSR verankert sei.

Dabei weiß der Bürgermeister nur zu gut, daß bei einer Hausdurchsuchung im November 1985 laut Polizeiprotokoll 299 Gegenstände — vorwiegend Bücher und Zeitschriften religiösen Inhalts - beschlagnahmt wurden. Für den Pfarrer von Chateaudun stellt der Brief aus dem Rathaus von Krem- sier eine infame Lüge dar. Ist es doch völlig ausgeschlossen, daß Milan Va- culik nicht die Namen der inhaftierten Katholiken genau kennt: Jirina Bedaiovä, Pavel Dudr, Jaromir Nė- mec, Pavel Zalesky, Michal Mrtvy und Jan Pukalik, um nur einige Fälle aus der letzten Zeit zu nennen.

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