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Den Faltenwurf des Alters entdeckend

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Zwei Männer und eine Frau ergeben nicht zwangsläufig eine kitschig-tragische Dreiecksgeschichte, wie der Nobelpreisträger Gabriel Garcia Märquez mit seiner berührenden Erzählung beweist.

Der unscheinbare Telegraphist Florentino Ariza umschwärmt Femina mit dem Rotwildgang und dem Zopf am Rük- ken vergeblich mit seinen literarischen Abhandlungen in Briefen. Sie heiratet den Arzt Juve- nal Urbino und führt mit ihm an der kolumbianischen Karibikküste ein zufriedenes großbürgerliches Leben im europäischen Stil der Jahrhundertwende, die sie mit einer spektakulären Ballonfahrt begehen.

Florentino — er hat sich inzwischen zum Direktor einer Flußschiffahrtsgesellschaft emporgearbeitet — ist hartnäckig entschlossen, Femina nicht aufzugeben, denn trotz seiner zahlreichen amourösen Abenteuer liebt er sie immer noch. Die Vorstellung, daß sie, wenn schon nicht die erste, so doch die letzte Wit we seines Lebens sein soll, tröstet ihn über ein halbes Jahrhundert des Wartens hinweg. Der tödliche Ausgang des tragisch-komischen Unfalls von Juvenal Urbino erlöst ihn von der berechtigten Befürchtung, er selbst könne womöglich noch vor dem Ehemann sterben. Noch am Tag der Beerdigung eilt er, als seniler Liebhaber immer noch zu neuen Taten bereit, zu • Femina, um ihr abermals seine Treue zu schwören.

„Ich habe für dich meine Unschuld bewahrt“, sagt er, ohne mit der Wimper zu zucken, was sie natürlich nicht glaubt. Aber die kühne Behauptung gefällt ihr. Zwar verströmen beide bereits „den säuerlichen Geruch des Alters“, was sie aber nicht daran hindert, ihre wiedergefundene Jugendliebe zu vertiefen. Sie unternehmen eine Schiffsreise auf dem Magdale- nenstrom und hissen die gelbe Choleraflagge, um ihr Glück ungestört von der übrigen Welt genießen zu können.

„Beide waren nüchtern genug, sich einen flüchtigen Moment lang einzugestehen, daß keine der verknöcherten alten Hände die war, die sie sich vor der Berührung vorgestellt hatten. Aber einen Augenblick später waren sie es bereits.“ Ihre Entdeckungsreise durch den Faltenwurf des Alters beginnt.

Der poesievolle Liebesroman des kolumbianischen Schriftstellers Märquez ist faszinierend und klug zugleich. Mit zarter Ironie deckt der Autor selbst die intimsten seelischen und körperlichen Unzulänglichkeiten des Menschen auf und zeigt am Beispiel des rührenden Grei- senpaares, daß Erotik keine Altersfrage ist. Die liebenswürdige Art, mit den gegebenen Schwächen zu versöhnen, wirkt tröstlich für all jene, die noch nicht gelernt haben, sich und den anderen in seiner nicht immer erfreulichen Eigenart zu akzeptieren.

DIE UEBE IN DEN ZEITEN DER CHOLERA. Von Gabriel Garcia Märquez. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1987. 509 Seiten, Ln., öS 311,-.

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