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Der dritte Weg

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„Ein rein verstandesmäßiges Weltbild ohne alle Mystik ist ein Unding.“ So spricht einer, dessen Verstandesleistung in der Geschichte der Physik Epoche gemacht hat und dessen Wellenmechanik mit dem Nobelpreis 1933 ausgezeichnet worden ist: Erwin Schrödinger. Aber auch der Adressat dieser hier zitierten Briefstelle steht in bedeutungsvollem Zusammenhang mit dem Inhalt: Der Physiker schreibt die letzten inhaltsschweren Briefe seines Lebens an den Dichter Franz Theodor Csokor.

Offensichtlich war Csokor der einzige, von dem sich Schrödinger ganz verstanden fühlte und mit dem er die Abschiedsbotschaft tauschen wollte, er, der ja auch ein „Dichter“ war - existiert doch von Schrödinger eine Sammlung von Versen.

So gehört er zu dem Dreigestirn Österreichs, zu jenen „musischen Menschen“, welche das moderne Weltbild der Physik entscheidend mitgestaltet haben: Ludwig Boltzmann, Pianist, Feuilletonist der Neuen Freien Presse, und Ernst Mach, subtiler Denker und literarischer Kopf, ein Physiker, der es so weit brachte, Lenin zum leidenschaftlichen Feind zu haben.

Nun liegt hier erstmals ein Lebensbericht Schrödingers in Druck vor, Improvisation weniger Tage, niemals vom Autor aus-gefeüt und gerade deshalb faszinierend, da er in einer nur selten erreichbaren Direktheit das Phänomen Schrödinger zeigt: einen Menschen, der sozusagen „exterritorial“ lebt, das heißt, in einer objektiven Distanz zu sich selbst. Auch die Abhandlung „Meine Weltansicht - Suche nach dem Weg - Was ist wirklich?“ zeigt diesen Stil, in dem sich englische Essay-Tradition, Immunität gegenüber allem Terminologienschwulst und ein österreichischer Plauderton zu etwas Unvergleichbarem, ebenso delikat wie überzeugend, vereinigen.

Die vorerst noch verborgenen, jetzt aber unübersehbar gewordenen Zerstörungen der Umwelt, Folgen eines Mißbrauchs der Naturwissenschaften, haben neue antirationale Strömungen ausgelöst. Der Rationalismus und die aufklärerischen Tendenzen der Nachkriegszeit geraten immer mehr in Mißkredit. Somit ist die Macht des engstirnigen Positivismus, welcher meint, die Welträtsel gelöst zu haben, heute zwar gebrochen, aber durchaus nicht zur Freude aller seiner Gegner. Denn nun kommen die hilflosen und unberatenen Waisenkinder der Aufklärung zu Wort bzw. zu ihrem mystizierenden sektiererischen Gelalle und ihren magischen Praktiken. Auch 1925, als Schrödinger „Suche nach dem Weg“ schrieb, waren solche irrationalen Schübe bereits bemerkbar. Sie mündeten in den Faschismus.

Wie und wo werden sie sich heute entladen? Diese bedrückende Frage macht die Schrift Schrödingers wieder sehr aktuell. Denn zwischen dem dünkelhaften Rationalismus und dem Salto mortale der Vernunft suchen wir ja alle einen Weg, auf dem Schrödinger, einer der größten und bescheidensten Genies des Jahrhunderts, keineswegs stürmisch und besserwissend voranleuchtet. Aber daß er ihn geht, sehr behutsam, damit niemand zu Schaden kommt, das ist das unvergleichliche und aneifernde Erlebnis dieses Buches.

Der Fund aber ist der, daß wir erkennen: Zwischen dem Vernunftaberglauben und dem Salto mortale der Vernunft, gerade dazwischen geht der Weg einer taghellen und reinen Mystik, ohne die - nach Schrödinger - eine umfassende Ethik nicht möglich ist. Zwischen materieller Welt und unserem Bewußtsein besteht ein Zusammenhang, den aus Kausalbeziehungen im naturwissenschaftlichen Sinn abzuleiten niemals gelingen kann. Es handelt sich da um einen mystischen „Sachverhalt“, den wir meinen, wenn wir das Wort Gott aussprechen.

MEINE WELTANSICHT. MEIN LEBEN. Von Erwin Schrödinger. Paul Zsolnay Verlag, Wien 1985. 181 Seiten, Ln., öS 170,-.

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