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Der Meister- und Chef der Spion(e)

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Markus Wolf, schon früh als DDR-Spionagechef sagenumwittert, beschäftigt auch nach der Wiedervereinigung immer wieder seine Zeitgenossen. Der heute 70jährige Markus Wolf, elegant, selbstbewußt und charmant, sorgt immer noch für Aufsehen, das sich allerdings in letzter Zeit etwas verringert hat. Die kontroverse Figur Wolfs läßt sich auf drei weit auseinanderklaffende, gänzlich unterschiedliche Weisen betrachten: Wolfs eigenes Selbstporträt. Da Markus Wolf ein talentierter Schriftsteller ist, der über einen hohen Intellekt verfügt, fällt seine Selbstdarstellung nicht nur plausibel, sondern sogar überzeugend aus, jedenfalls für einen Durchschnittsleser, der sich nicht eingehend mit Spionage im allgemeinen und DDR-Spionage im besonderen befaßt hat. Die zweite mögliche Version ist diejenige, die Wolf jahrelang dämoni-sierte und in ihm den üblen Intriganten, Drahtzieher und beinahe das Urübel des DDR-Regimes sah.

Daß beide dieser Versionen unrichtig sind, beweist das Buch Reichenbachs. Mit außerordentlicher Sachkenntnis und großem Fleiß - übrigens in bestem journalistisch-flüssigem Stil wiedergegeben - wurden hier Akten durchforstet und Zeugen gehört, die ein annähernd echtes Bild Wolfs geben. Sein Leitbild war sein Vater Friedrich, ohne welchen Markus Wolf nicht zu verstehen wäre. Sein Vater war Arzt, Jude, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, Kommunist und erfolgreicher Schriftsteller, der überaus eitel auf seinen athletischen Körper und seine Gesundheit war. Bei dem 1923 in Hechingen in Baden-Württemberg geborenem Markus will es der Zufall, daß der spätere Gegenspieler aus der iBRD, Bundesnachrichtenchef Klaus Kinkel, heute Außenminister und Vizekanzler, aus dem gleichen 5.000 Seelen zählendem Flecken stammt.

Seine sichtbaren Erfolge lassen die BRD und die Welt aufhorchen. Es gelingt ihm über hohe, aber korrupte Beamte, über liebesbedürftige Vorzimmerdamen von Ministern und Konzernmächtigen, hie und da auch über Idealisten, nicht nur genauen Einblick in die Wirtschaft und Politik der BRD zu erhalten, er bekommt auch militärische Geheimdokumente der Nato und der Bundeswehr sozusagen franko ins Haus geliefert. Drei Jahrzehnte lang bleibt er im Hintergrund, und bis Anfang der achtziger Jahre gibt es im Westen kein Foto von ihm. Mit dem richtigen Gespür setzt

er auf die Perestrojka, und demissioniert von seinem heiklen Posten schon 1987, als Honecker und Mielke sich noch hartnäckig dem Unausweichlichen entgegenstemmen. Die Markus-Wolf-Story ist damit noch lange nicht zu Ende.

Es gibt schon eine Reihe von Büchern über ihn, die alle reißenden Absatz finden. Eines der fraglos besten und am meisten objektiven ist die vorliegende Biographie Reichenbachs.

CHEF DER SPIONE - DIE-MARKUS-WOLF-STORY. Von Alexander Reichenbach. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1992. 256 Seiten, 39 Abbildungen, öS 233,-.

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