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Die Ehe eines Irren?

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Der Eheroman galt lang als klassisches Thema der Trivialliteratur. Erst durch das Aufkommen einer neuen, verinner-lichten Frauenliteratur und Abwendung von einem oberflächlichen, scheinbar gesellschaftskritischen Realismus, erhielt das Genre neuen Aufschwung.

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Der Eheroman galt lang als klassisches Thema der Trivialliteratur. Erst durch das Aufkommen einer neuen, verinner-lichten Frauenliteratur und Abwendung von einem oberflächlichen, scheinbar gesellschaftskritischen Realismus, erhielt das Genre neuen Aufschwung.

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Man wandte sich verstärkt den Problemen der zwischenmenschlichen Beziehungen zu, beschränkte sich auf kleinere, begrenztere Themen. Aus diesem Grund findet auch der vor kurzem erschienene, bis dahin verschollen geglaubte Eheroman ,,Plädoyer eines Irren“ von August Strindberg großes Interesse. Der wichtigste Vertreter des naturalistischen Ehe- und Familiendramas hat in seinen Stücken fast immer autobiographische Erlebnisse verwendet, eigene psychische Krisen schonungslos analysiert. Er gilt als Frauenhasser, als Feindbild aller emanzipatorischen Frauenbewegungen, Protagonist einer patriarchalischen, repressiven Gesinnung. Man sollte diese Klischees über den Haufen werfen und Strindberg viel mehr aus der Bedingtheit seiner Zeit verstehen, in seinen Werken vor allem den psychoanalytischen Wert suchen, nicht die aufgepfropften Handlungsmechanismen.

Vor Jahren ist in Oslo ein bislang verschollen geglaubtes Urmanuskript Strindbergs aufgetaucht, wo er seine Ehe mit der Schauspielerin Siri von Essen thematisierte. Man kannte zwar schon eine revidierte, zensurierte und auf weite Stellen romantisierte Fassung dieses Romans, die 1910 in Deutschland erschienen war. Doch Strindberg hatte sich stets negativ zu diesem Werk geäußert und der seinerzeitigen Veröffentlichung nur wegen seiner finanziellen Notlage zugestimmt. Nun liegt die Urfassung in deutscher Sprache vor und zeigt einen ganz anderen, ehrlichen, teilweise selbstkritischen Strindberg, der nichts beschönigt und verklärt, ohne romantisches Pathos schreibt, sondern nüchtern, klar und stellenweise brutal. Das Scheitern einer zum Scheitern verurteilten Ehe.

Der junge Strindberg, als Dramatiker erfolglos, Schreiber in der königlichen Bibliothek in Stockholm, verhebt sich in die Freifrau X, die scheinbar glücklich verheiratet und Mutter eines kleinen Mädchens ist. Sie erscheint dem jungen Strindberg als Ideal, als „reine Jungfrau“ und Inkarnation der Schönheit zugleich, ist aber eine mor-. bide, dekadente Persönlichkeit. Der

Autor baut sich ein irreales Bild von ihr auf, vollkommen losgelöst von deren realer Existenz, er verhebt sich in “eine Konstruktion, eine Projektion seiner eigenen Sehnsüchte.

Es gelingt ihm auch, sie zu entführen, ihre Ehe zu zerstören, sie zu besitzen. Doch dadurch stürzt auch das Idealbild zusammen, seine Träume werden brutal zerstört, die Freifrau kann und will seine Ansprüche nicht erfüllen. Sie will leben. Genau das kann Strindberg nicht akzeptieren. Begeisterung und Liebe schlagen in Aggression und Haß um. Strindberg wehrt sich, die Realität seiner Ehe zu akzeptieren, besteht auf seinem Traum, dem Ideal, verstrickt sich immer mehr in narzißtischen Anklagen und Haßausbrüchen. Er wähnt sich ausgenützt und ausgebeutet, glaubt seine Identität zu verlieren und erkennt das Scheitern seiner irrealen Vorstellungen nicht. Denn seine Frau wehrt sich, läßt sich nicht bestimmen und idealisieren.

Strindberg zieht sich zurück, spricht nicht mehr, verweigert jegliche Kommunikation. Seine Frau ist für ihn nur noch Inkarnation des blutsaugerischen, zerstörenden Weibes.

Das Faszinierende an diesem Buch ist die absolute Ehrlichkeit Strindbergs, sind die bohrenden, selbstquälerischen Fragen, die immer wieder und mit äußerster Radikalität gestellt werden. Strindberg versucht gar nicht zu beschönigen, er beschreibt einfach seine Gefühle, Neurosen, Ängste, seine Angst vor Frauen. Gerade die Angst wird immer wieder artikuliert, Beziehungsangst, die in Aggression und Selbstzerstörung mündet, Angst, sich zu öffnen, sich preiszugeben. Ebenso deutlich tritt Strindbergs beinahe schon pathologischer Narzißmus zutage, seine Unfähigkeit, auf die Bedürfnisse anderer einzugehen. All das in einem nackten, brutalen Stil. Der Leser wird abgeschreckt, zurückgestoßen - psychische Momente sind in spannungsgeladene, zugespitzte Sprache umgesetzt, Autobiographisches wird so zur Kunst.

PLÄDOYER EINES IRREN. Von August Strindberg. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1977,355 Seiten, öS 261,80

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