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Selbstquälerische Gottsuche

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„Als die Verzweiflung ihren Höhepunkt erreichte, wollte ich den leeren Raum füllen; aber ich fand keinen Inhalt, das Neue war noch nicht ausgegoren. Es war eine große Zeit; die Menschheit wuchs, aber die Individuen vergingen; eines davon war ich“, läßt August Strindberg am Ende des Romans „Schwarze Fahnen“ eine der Figuren sagen. Das war, als „alle Flüche und Schmähungen über das Dasein ausgeschleudert, da man auf dem Wege ... in das 'Weltproblem nicht tiefer einzudringen vermochte“. Zu dieser Zeit entstand seine monströse, visionäre, aus Qual und Verzweiflung geborene Trilogie „Nach Damaskus“. Strindbergs Stellvertreter und Doppelgänger, der „Unbekannte“, der „Nichtbekenner“, Hauptfigur des dreiteiligen Werkes, der von sich sagt „Ich leide so, als wäre ich das ganze sündige Geschlecht der Menschen“, stellt Strindbergs eigene Wandlung zum Gottsucher dar. Ermüdet von Mystik und Atheismus, erlahmt in der Revolte gegen Not und die Nöte des Daseins, hat er sich auf den Weg nach Damaskus gemacht, um aus dem Reich des Bösen in die Welt der Liebe zu gelangen. „Die Dame“ — Jungfrau, Mutter, Helfende und Verführerin in einem — begleitet ihn, der Bettler, bald Abbild, bald höheres Wesen, begegnet ihm, der Kon-fessor bestärkt ihn, die Säufer verhöhnen ihn, Schemen und Schatten seiner Erinnerung steigen aus der Vergangenheit auf und schrecken ihn, der zungenfertige Versucher tritt an ihn heran oder fordert Schuldigunschuldige vor ein fragwürdiges Gericht. Am Ende findet der Unbekannte ins Kloster, aber nicht zu Gott. Er verschanzt sich hinter Mauern vor den peinigenden Dämonen seines Lebens.

Jetzt, da uns diese zerklüftete, verwirrende, so schwer zu bewältigende szenische Dichtung in einer adäquaten Aufführung wieder einmal vorgespielt wird, zeigt es sich, daß keiner vor Strindberg mit so infernalischer Kunst die Hölle auf Erden dargestellt, keiner neben ihm so die übernatürliche Wirklichkeit des Himmlischen auf Erden geschildert hat. Als Dichter fühlte er sich als Verkörperung des Bösen und erlebte sich zugleich als die Reinkarnation des Erlösers. Strindbergs religiöse Krise war wohl auch eine moralische, entstanden vor allem doch aus der Gefahr des Nichts, des Nihil. Im Grunde ein Streben nach Erlösung, nach Entrinnen und Befreiung, war sie zutiefst die Not des tragischen Menschen, der das Nichts vergebens zu überwinden sucht.

Ungeheuerlich, wie Strindbergs Phantasie die Riesenwelt seiner Gestalten mit ungezählten Spiegelungen seines Selbst durchwebt. Die Schaffensperiode nach der sogenannten „Infernokrise“ führte ihn zu einer neuen Dramaturgie. Äußerlich setzte er sich über die Gesetze von Zeit und Raum hinweg und wandte sich vom Naturalismus zum Szenarium des späteren „Traumspieles“. Mit einem Schlage machte die jetzige Aufführung im Akademietheater deutlich, wie vieles, was die Strindberg-Nachfahren von Pirandello bis Beckett an Ausdrucksvarianten inzwischen beigesteuert, dazu etliches von der Verfremdungstechnik des Epischen Theaters, bei Strindberg 'angst vorgebildet war. Leicht zu spielen ist das nicht. Als Bühnenwerk bleibt dieses über die Maßen ausgebreitete Selbstgespräch des Autors ein Ungetüm und mit seinen 269 Seiten gedrucktem Text und 17 Verwandlungen ohne radikale Kürzungen unspielbar.

Regisseur Franz Reichert verwendet eine neue Übersetzung und Bearbeitung von Kurt Klinger, der im Programmheft seine Fassung als „konzentrierte Zusammenschau“ einer „inneren Realität“ rechtfertigt. Tatsächlich ist es Klinger gelungen, die Trilogie, von allem Ungereimten und Verstaubten befreit, für einen Abend von etwas über drei Stunden Spieldauer zusammenzufassen, indem er gleichsam eine Essenz für uns Heutige herausdestillierte. Will Quadflieg gibt als „Der Unbekannte“ alles Hoffnungslose, Zerfahrene, Erlösungsbedürftige dieser Figur, Käthe Gold als seine Begleiterin und Gefährtin ist eine großartige, differenzierte „Dame“. In dem Ge spensterreigen fielen vor allem noch Alma Seidler als streng bekümmerte Mutter sowie Günther Haenel als Bettler und Konfessor auf. Die Bühnenbilder von Rudolf Schulz treffen genau und dicht den Wechsel zwischen Traum und Realität. Es gab lang anhaltenden Beifall für einen außerordentlichen Theaterabend. Wie tief das Drama selbst die Zuschauer packte, kann jeder nur für sich allein entscheiden. Es sollte ja nicht bloß beeindrucken und bannen.

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