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Strindbergs Damaskus in Osterreich

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Von den mehr als fünfzig Bühnenwerken August Strindbergs gehört die Trilogie „Nach Damaskus“ zu den bedeutendsten. Uber ihren unmittelbaren künstlerischen Wert hinaus bezeichnet sie, was schon im Titel anklingt, eine Wegmarke im Schaffen des Dichters.

Das zwischen 1898 und 1904 geschriebene Bühnenwerk darf in dreierlei Hinsicht als ein modernes Damaskus-Erlebnis gedeutet werden: in der Biographie des Autors, der hier seine Wandlung vom überzeugten Atheisten zum Gottsucher darstellt, als Zeugnis einer zeitgeschichtlichen Wende von einer naiven Wissenschaftsgläubigkeit zu neuer Metaphysik, und als Prophetie einer geistigen Entwicklung im anbrechenden Jahrhundert.

Es ist wenig bekannt, daß Strindberg die entscheidenden Jahre der großen Wende seines Lebens zu einem Großteil in Österreich verbracht hat. Was ihn nach Österreich führte, war seine Ehe mit der Wienerin Frida Uhl. Was ihn in Österreich faszinierte, aber auch an den Rand der Verzweiflung brachte, waren die österreichischen Menschen und die österreichische Landschaft.

Frida Uhl, Tochter des Regierungsrates Friedrich Uhl, des Herausgebers der „Wiener Zeitung“ , war, nach strenger klösterlicher Erziehung im Ausland, auf Wunsch ihres Vaters Kunstkritikerin geworden. Da ein solcher Beruf für eine Frau in Wien noch gesellschaftlichen Anstoß erregte, ging sie, zwanzig Jahre ^ung, nach Berlin, das damals der pulsierende Mittelpunkt des geistigen Europa zu werden schien. Hier lernte sie in einer Gesellschaft von Literaten den um mehr als zwanzig Jahre älteren Strindberg kennen. Schon sein erstes Gespräch mit ihr war eine Lebensbeichte. Er hat es, ebenso wie ihren ersten Kuß, in der Expositionsszene von „Nach Damaskus“ dichterisch wiedergegeben.

Für Strindberg ist diese Berliner Zeit eine der wildesten seines Lebens. Schwer lastet die Trennung von seinen Kindern auf ihm. Zwei Jahre vorher hatte er sich nach dreizehnjähriger Ehe von seiner ersten Frau Siri von Essen getrennt. Nun sucht er Befreiung in der Fremde. Freunde haben ihn nach Berlin geholt, wo er in der Künstlerkneipe „Zum schwarzen Ferkel“ unter berühmten Freunden, wie Edvard Munch oder Richard Dehmel, die Nächte durchtrinkt. Daß ihn Frida Uhl sehr bald bittet, diese Gesellschaft zu meiden, nimmt wunder, wenn man ihre Vorliebe für Freiheit in gesellschaftlichen Belangen und ihre emanzipatorischen Neigungen kennt. Er entspricht jedenfalls bald ihrem Wunsch.

Noch im gleichen Jahr heiraten Strindberg und Frida Uhl auf Helgoland und führen sehr bald ein unstetes Wanderleben. Sie fühlen sich als Kameraden, nicht als angetraute Ehepartner, was viel später bei Frida zu der in „Nach Damaskus“ ausgesprochenen Erkenntnis führt: „Du suchtest die Gesellschaft eines Menschen und nicht eines Weibes bei mir.“

Während Frida in England zurückbleibt, fährt Strindberg zum ersten Mal zu ihren Eltern nach Österreich. Er wohnt in der Villa ihres Vaters in Mondsee. Er führt hier, ganz gegen seine sonstige Art, ein sehr bescheidenes Leben. Die Schwiegermutter, so schreibt Frida später in ihren Memoiren, vergötterte ihn. Diese Frau, die in seinem Werk eine nicht unwesentliche Rolle spielte, war von einer starken Religiosität.

Strindberg nimmt seine Schwiegermutter in Schutz: „Ich als Fremder“ , schreibt er seiner Frau nach England, „kann ihre religiösen Ansichten ertragen, wenn ich auch offen zugebe, daß ich sie nicht teile.“ Es mag aber die latente Religiosität in dem damals noch atheistischen Dichter gewesen sein, die hier Verwandtes empfand.

Die Landschaft um den Mondsee begeistert ihn, für den die Alpen seit jeher eine besondere Anziehungskraft hatten. Aber das lange Verweilen seiner jungen Frau in England führt zu Ungeduld und Mißtrauen, es kommt -brieflich - zur ersten Trennung; als sie endlich nach Mondsee kommt, ist er bereits nach Berlin abgereist. Sie fährt ihm nach, es folgen Monate bitterster seelischer und physischer Not, bis sie sich entschließen, gemeinsam nach Österreich zu reisen: diesmal zu Fridas Großeltern, in deren Landhaus in Dornach an der Donau unweit von Grein.

Die Ankunft des jungen Paares glich der von Bettlern; sie hatten nicht einmal das Geld, den Träger am Bahnhof Amstet-ten zu bezahlen. In der Nacht fuhren sie über die Donau. „Nun will ich Dir erzählen, Vater“ , sagt die Mutter zum Alten in der entsprechenden Szene in „Nach Damaskus“ , „die Leute haben zwei Landstreicher am Fluß gesehen; sie waren zerfetzt, schmutzig und waren im Wasser gewesen; und als sie den Bootsmann bezahlen sollten, besaßen sie nicht einen HeUer.“ Als der Alte erfährt, wer die beiden sind, sagt er über den Mann: „Er sieht nur Bosheit überall, und es gibt keinen, von dem ich soviel Böses gehört habe, wie von ihm.“ Darauf die Mutter: „Was Du sagst, ist richtig, Vater, aber es ist ja möglich, daß Ingeborg“ - Ingeborg war Fridas Lieblingsname, weshalb sie Strindberg in seinem Stück so benannte - „eine Aufgabe im Leben dieses Mannes hat und er in ihrem. Vielleicht sollen sie einander zur Versöhnung hin quälen.“

Nach anfänglichem Sich-Fü-gen kommt es zwischen den Verwandten und dem jungen Paar begreiflicherweise bald zu Zerwürfnissen, die nach einer Ge-richtsvorladimg Strindbergs wegen angeblicher sittengefährdender Stellen in seinem Lebensroman „Beichte eines Toren“ zum Auszug Strindbergs und seiner Frau aus dem Herrenhause führen. Der alte k. u. k. Beamte bringt es nicht übers Herz, einen vor Gericht Geladenen in seinem Hause zu dulden. Man bietet das sogenannte Häusl an, eine kleine Hütte, die eigentlich für einen störrischen Esel und dessen Knecht erbaut worden war. Uberraschenderweise ist Strindberg über diese Aus- und Einweisung erfreut, er stattet das kleine Haus selbst aus, und die hübsche Lage auf einem Hügel an der Donau mit dem Blick auf den Strom hilft über die Erniedrigung hinweg. Jetzt sind die jungen Eheleute endlich allein. Das große Haus hat Strindberg nie mehr betreten.

Die Geburt des Kindes, die beide als Rettung aus den Wirrungen der jungen Ehe ersehen, führt zu neuen Schwierigkeiten. Die Schwiegermutter besteht auf einer katholischen Taufe, Strindberg, damals dem Katholizismus nicht mehr feindlich, ja durch den Einfluß österreichischkatholischen Brauchtums freundlich gesinnt, verweigert dies aus Protest gegen jeden familiären Zwang. Diese Haltung bringt ihn bei der Bevölkerung in Verruf. Er selbst fühlt sich immer unbehaglicher, besonders seit außer der Schwiegermutter noch eine Amme im Haus ist; das Kind endlich, die Tochter Kerstin, wird zum Objekt seiner Eifersucht.

In Paris wurde inzwischen eines seiner Stücke mit ungeheurem Erfolg aufgeführt. Er sehnt sich aus dem Dornacher Idyll in die große Welt und beschließt, vorübergehend nach Frankreich zu reisen. „Die Erfahrung hat gelehrt“ , erklärt er seiner Frau, ,je näher desto ferner, und je weiter voneinander, desto näher.“ Mit dem Dampfer verläßt er Dornach, es ist ein Abschied für immer.

Frida reist ihm noch einmal nach Paris nach, alles scheint sich zum Guten zu wenden, da erhält sie“ Nachricht von einer Erkrankung ihres Kindes. Sie fährt nach Österreich zurück. Sie sollte Strindberg nie mehr wiedersehen; die Ehe wird nach kaum zweijähriger Dauer geschieden.

„Inferno“ heißt der Roman, den Strindberg über diesen Lebensabschnitt schrieb. Ein Inferno war es, das sich während des äußeren Idylls von Dornach in seinem Inneren abspielte: der Atheismus, zu dem er sich, der in seiner frühen Jugend leidenschaftlicher Protestant war, durchgerungen hatte, war ihm zum Herd neuer Unruhe geworden. Jetzt hielt er alles für Illusion. Der Wille zur Macht wird sein neues Leitwort, aber die einzige Macht, die ihm bleibt, ist die Macht, seinem Leben jederzeit ein Ende setzen zu können. Er ist sich allerdings nicht mehr sicher, ob es mit dem Elend zu Ende ist, wenn alles zu Ende ist. Aber durch die Liebe zu Frida erkennt er, daß das Leben doch einen Sinn hat. Was er für Zufall hielt, scheint Absicht gewesen zu sein.

Er träumt seinen alten Traum von einem Kloster jenseits der Konfessionen, in dessen Mauern er von den Versuchungen und dem Schmutz der Welt geschützt wäre, wo er vergeben und vergessen werden körme. Frida schreibt: „Die Stärke des römischen Glaubens, der keine Fragen duldet, winkte dem Grübler wie eine Erlösung inniitten des Martyriums des Zweifels.“

Vom kleinen Haus in Dornach sah Strindberg über den selbstbebauten Garten und den Strom hinweg auf die Kirche auf dem Kolmitzberg, in deren Kreuz, wie er dies auch in der szenischen Bemerkung zu einer Dekoration in , JJach Damaskus“ beschreibt, die Abendsorme blinkte. Dort drüben sah er im Geist ein großes weißes Kloster aufragen. „Wenn ich religiös werden könnte“ , sagt er, „würde ich versuchen, in ein katholisches Kloster einzutreten.“ Und: „Obwohl ich sie nicht formulieren kann, hat sich eine Art Religion in mir gebildet.“

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