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STRINDBERG AUF DER MATTSCHEIBE

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50 Jahre nach Strindbergs Tod konnte man in Schweden nicht ganz das schlechte Gewissen beruhigen, daß man diesen größten Dramatiker der Nation nicht nach Gebühr behandelt hat. Noch 1912 war ein großer Teil seiner Produktion der Heimat fremd oder unbekannt. Die Akademie hat ihn nie der Mitgliedschaft gewürdigt.

Aber Deutschland hatte ihn längst entdeckt und spielte die übersetzten Stücke an allen bedeutenden Bühnen: Strindberg war Mode. Erst dem Regissseur Olof Molander kommt das Verdienst zu, ihn für Schweden wiederentdeckt

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zu haben. Mit seiner Inszenierung des „Traumspiels“ 1935

in Stockholms Dramatischem Theater beginnt die Strind- berg-Renaissance, die unvermindert fortdauert. Der lange Umstrittene ist nun Klassiker der Nation. Man spielte im Gedächtnisjahr: „Die Gespenstersonate“, „Der Vater“, „Fräulein Julie“ in Stockholm, in Göteborgs Stadttheater und schwedisch in Amerika. In den Bios gibt man „Giftas“ — „Heiraten“; dem Film liegt die Novelle zugrunde, die Strindberg den berühmten Druckfreiheitsprozeß und schließ- lichen Freispruch eintrug. Der Rundfunk, die Zeitungen, die Auslagen der Buchhändler waren voll von Arrangements mit seinem Namen, eine Reihe von neuen Büchern vermehrte die Strindbei’g-Lit&’atur, die längst schon eine eigene Bibliothek bildet.

Nicht zuletzt wies man auf ein neues Moment hin, das mit dem Jubiläum zusammenhing: Hat Schweden auch Strindberg zu seinen Lebzeiten wesentlich versäumt, so kann man es als Verdienst buchen, daß man ihn in den letzten Jahren menschlich entdeckt hat. Man sieht in ihm nicht mehr ausschließlich den Titanen und Revolutionär, den Frauenhässer und die tragische Seele, sondern man begreift seine heimatlichen Züge, seinen Humor, seine Phantasie, seinen Sinn für die Natur, ja nicht zuletzt seine so oft angezweifelte geistige Gesundheit. Und man wagt, angeregt von Olof Molander, der diese Züge unterstreicht, jetzt sogar während des „Traumspiels“ an gewissen Stellen offen — herauszulachen. Professor Martin Lamm, der 1924 die erste repräsentative Strindberg-Biographie schrieb, hat zu dieser Wiedervereinigung mit der Heimat wesentlich beigetragen. Der Schwede ist im allgemeinen ein real denkender, gesund urteilender, lebensbejahender Mensch. Nun ist man froh und stolz, diese Eigenschaften, übergroß dimensioniert, in ihm wiederzufinden.

Auch in Upsala, dessen Festspiele zum zweitenmal in seinem Zeichen standen — er selbst hat die Universitätsstadt „Höhle“ genannt und sie immer gemieden — kam er durch eine glücklich gewählte Ausstellung im Wasaschloß lebendig zu Wort. Sie hieß „Strindberg, der Photograph“ und brachte seine eigenen und fremde Bilder in mächtigen Vergrößerungen. Er hatte ja viele Hobbys: die Malerei (erst jetzt wird sein Einsatz als Impressionist gewürdigt), das Sammeln von Insekten und Botanisieren, die Chemie und nicht zuletzt das Photographieren. Während drei verschiedener Lebensperioden engagierte er sich besonders daran, stellte sogar aus einer Zigarrenkiste einen eigenen Apparat her, versuchte sich an kolorierten Photos. Noch 1906 hoffte er, mit Hilfe eines Kompagnons ein Photoatelier zu gründen und dann innerhalb von fünf Jahren so „reich zu werden“, daß damit seine Dichtung gesichert wäre. Sein zeitweiliger Wunsch, die Literatur als Verdienstmöglichkeit völlig zu verlassen, ist an sich nichts Neues. Er wollte ja auch Bankmahn, ja sogar Leuchtturmwärter werden und schrieb wie geschlagen zurück, als man ihm mitgeteilt hatte, daß es leider nicht möglich sei, ihn zu placieren. Der Freund meinte schon, er würde aus Enttäuschung Selbstmord begehen, erhielt aber kurz darauf eine Karte Strindbergs mit der Nachricht, daß er sich nach einem Glas Milch wieder erholt habe und der Zukunft mutig entgegensehe.

Im Entree der Ausstellung, die sich einen Stock über dem berühmten „Reichssaal“, dem Ort der Abdankung von Königin Christine, befindet, begegnet man einem Riesenphoto, vor dem man erschrickt. Da sitzt Strindberg fast in Lebensgröße in seinem Arbeitszimmer: nahe seinem Ende, im „Blauen Turm“ von Stockholms Drottninggata 85, eingehüllt in den von einer Schnur zusammengehaltenen Hausrock. Zwei Fächerpalmen, gepolsterte Korbstühle stehen beim Schreibtisch, der von Manuskripten bedeckt ist. Der Blick, brennend und verquält, scheint nur widerwillig dem Photographen zur Verfügung zu stehen. Die Einsamkeit der Todeskrankheit erfüllt das Bild mit Schwere.

Ein anderes aus jüngeren Jahren gibt einen völlig anderen Aspekt. Da blickt Strindberg mit aufgeschlagenem Rockkragen wie ein Wegelagerer den Näherkommenden von unten an, bereit zu vernichtender Analyse. „Was bist nun du für einer?“ scheint er zu denken. „Warte einen Augenblick, und ich weiß Bescheid, wie es um dich steht, wo deine verborgenen Schlupfwinkel liegen.“ Das ist der Strindberg, der eine seiner Figuren sagen läßt: „Ich entlarvte ihn — und da starb er.“

Die Ausstellung wollte indessen nicht allein Strindbergs Gegenwart vermitteln, sondern auch seine technisch-beruflichen Photointeressen zeigen. Man sah in Glasschränken sein Zubehör für die Dunkelkammer, Lehrbücher, einen Trockenständer für Platten usw. Strindberg konnte Angehörige und Freunde sehr sachlich unterweisen, wie sie es anstellen sollten, um zu guten Bildern zu kommen: er hatte da solide Kenntnisse. Seine Absicht war, durch „psychologische Photographie“ zu reüssieren. Das Objekt sollte innerhalb 30 Sekunden entschlejert und in der charakteristischen Pose festgehalten werden. Er ahnte schön damals die Intentionen der modernen Photokunst.

Mit Selbstauslöser pflegte er sich 1886 in Gersau in der Schweiz aufzunehmen. Es gibt eine ganze Reihe solcher Experimente, woran sich auch seine Frau Siri beteiligte. Obwohl er behauptete, daß ihm nichts daran liege, wie er aussehe, möchte man dieser Versicherung nicht unbedingt Glauben schenken. Seine Stellungen enthüllen ihn allzusehr als Poseur. Lange Zeit wurde ein Bild, das ihn pathetisch mit struppigem Kopf auf den Armen liegend zeigt, als das letzte seiner ersten, zerbrochenen Ehe angesehen. Es hieß „Verzweiflung“. Indessen stellt es sich jetzt als wesentlich harmloser heraus. Seine Frau wollte seine „Frisur“ aufnehmen, die ihr gefiel.

-„. .pie Paraos Adgf .yon renterzeu tpn Rheins ergreift trotzdem. Sie beschreibt die Verwandlung des feinnervigen, edlen Jünglingsgesichtes in das bekannte titanische der Mannesjahre und schließlich in das von der unheilbaren Krankheit gezeichnete des Alters. Die Geniestirn mit dem wild versträhnten Haarschopf, der rauhe Schnurrbart, der aus Eisendraht zu bestehen scheint, die stechenden, forschenden oder hochmütig abweisenden, dann wieder verquälten Augen bleiben sich gleich. Das vorletzte Photo zeigt ihn sitzend unter dem gerahmten Kinderköpfchen seiner Enkelin Anne-Marie. Darunter steht in dieser Ausstellung ein Zitat aus „Der Vater“: „Für mich, der nicht an die Ewigkeit glaubt, ist das Kind mein Leben nach diesem.“ Darf man ohne weiteres diese Zeiten hier anbringen, wenn sie auch passen mögen? Der Revolutionär Strindberg, der den „Vater“ schrieb, war nicht mehr derselbe, der 1912 unter dem Bild saß. Er war zur Bibel zurückgekehrt und der Glaube an das ewige Leben ihm nicht so fremd wie einst.

Erschütternd das letzte Bild, das ihn promenierend am 9. April 1912 auf der Drottninggata zeigt: mit eben gefallenem Schnee auf dem etwas aufgestellten Pelzkragen des Winterrocks, beide Hände in den Taschen, den hohen dunklen Hut auf dem Kopf, mit abweisendem Blick. Fünf Wochen später lebte er nicht mehr.

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