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Tragödie des Menschen
Eine großartige, wichtige, notwendige Aufführung: der „Totentanz“ von August Strindberg in der Josef- stadt. Großartig: das Thema. Wichtig: zur Erinnerung an die Tatsache, daß Strindberg der Vater des tragischen Theaters unserer Zeit ist. Notwendig: wenn auf der Bühne etwas notwendig ist, dann eben dies: die Darstellung der großen Kontinuität, die das „ewige“ Leiden des Menschen mit dem spezifischen Leiden des Menschen in einer Epoche verbindet. Es ist nicht notwendig, zur „Erklärung“ dieses Dramas auf August Strindbergs private Lebensgeschichte hinzuweisen. Daß die Feuer des Hasses, die in diesem großen Drama hochbrennen, Feuer einer unseligen Liebe sind, merkt auch der unbeteiligte Zuschauer. Wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, daß das größte Motiv im Leben des Menschen in unserer Zeit, die Selbstentfremdung des Menschen, hier in ihrer dreifachen Verwurzelung aufgezeigt wi|d: in ihrer gesellschaftlichen, pSychi» sehen und religiösen.
Das sich 25 Jahre lang hassende Ehepaar, Kapitän Edgar und seine Frau Alice, die sich in ihrem Festungszimmer auf der kleinen Insel, die eine große Hölle für sie ist, in einem Kampf auf Leben und Tod gegenüberstehen, bereit, sich zu zerfleischen, mit allen Kräften eines unheilen Geistes und einer verstörten Seele, stehen für Adam und Eva in unserer heutigen Gesellschaft: er allein, sie allein. Rings um sie Fremde, Feinde, Gegner. Eben jene innerste und nackteste Einsamkeit, die heute wüstenhaft so oft zwei Menschen umgibt, und die durch riesenhafte Kulissen von Schall, Zeitvertreib, Konsum filmisch überdeckt wird, erscheint hier hüllenlos. Zwei Menschen, um sie ein Nichts. In dem Nichts hausen die „anderen“, mit denen man nicht mehr „verkehrt“. Strindberg selbst verwendet die Selbstentfremdung des einzelnen in der Gesellschaft als eine Chiffre, zur Anzeige der psychischen und religiösen Selbstentfremdung. Schuld, Sünde, Gnade, die Anwesenheit Gottes in der Abwesenheit, in der scheinbaren Abwesenheit des Menschlichen, werden hier erfahrbar. Strindberg tritt hier, in diesem Werk des Jahres 1900, nicht als ein Moralprediger auf. Ein anderes ist sein Amt Und seine Berufung: zu zeigen, wie es wirklich ist, das Leben von Menschen. Unheimlich starke Kräfte wenden sie auf, um sich selbst zu zerstören. Um sich selbst zu finden. Es ist eben dieses Emstnehmen des Menschen, die Strindbergs religiöse Mission glaubwürdig macht.
Großartig die Aufführung dieses Drei- personenstücks. Walter Franck;-.als Ka- pitäfi «'Egar; ‘ zeigt die Schönheit des „Häßlichen“: durch dieses verbissene, von Gewittern des Hasses überleuchtete Gesicht strahlt der Glanz einer unglücklichen Seele auf. Seine Frau Alice, die frühere Schauspielerin, die sich eine Karriere in der Gesellschaft, Glanz und Gloria auf der Bühne des Lebens erhofft hatte, wird durch Hilde K r a h 1, die wir leider so selten mehr in Wien sehen, eisig und hilflos, tödlich hassend und verzweifelt liebend dargestellt. Neben diesem sich ebenbürtigen Paar vermag sich mit Anstand Erwin Strahl als Quarantänemeister Kurt zu behaupten. — Wir hoffen, daß diese Aufführung in breitem Umfang jenen, die sie angeht, zugänglich gemacht wird.
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