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Die fehlende Rückseite

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Franz Wuketits, der als Schü­ler von Konrad Lorenz und vielseitiger Naturwissen­schaftler geradezu prädesti­niert erschien, den längst fälli­gen Überblick über das Werk des im Vorjahr verstorbenen österreichischen Nobelpreis­trägers zu liefern, hat sich die­ser angesichts der Vielschich­tigkeit des Lebenswerkes des Verewigten nicht gerade ein­fachen Aufgabe mit Fleiß und Geschick unterzogen und eine wissenschaftliche Biograf ie des großen und umstrittenen Leh­rers vorgelegt, die höchsten Ansprüchen genügt und auch heikle Fragen, wie die zeitwei­se Anfälligkeit Lorenz' für rassistische und eugenische Doktrinen des Dritten Reiches, nicht ausklammert.

Und doch drängt sich dem gläubigen Christen, und wohl nicht nur ihm, die Frage auf, die nicht als Vorwurf an den Autor, sondern in erster Linie als Rückfrage an das Lebenswerk und die Weltschau von Kon­rad Lorenz zu verstehen ist: Warum war Konrad Lorenz, ungleich an­deren großen Naturforschern von Johannes Kepler bis Carl Friedrich von Weizsäcker, Zeit seines Lebens unfähig oder unwillig, hinter den von ihm analysierten evolutionä­ren Prozessen die ordnende Hand eines Schöpfers, eines persönlichen Gottes, wahrzunehmen? Warum hielt er die Berufung auf Zufall, Evolution, Selektion für ausrei­chend, um die Wirklichkeit insge­samt zu erklären, so daß das Ergeb­nis eine naturalistisch-materialisti­sche Weltsicht ist, in der der Geist als primäre Quelle auch der Evolu­tion keinen Platz hat?

Wuketits zitiert zwar, um das Anliegen der evolutionären Er­kenntnistheorie deutlich zu ma­chen, die Worte Goethes: „War' nicht das Auge sonnenhaft, Die Sonne könnt' es nicht erblicken", unterschlägt aber die zweite, bes­sere Hälfte, die Goethe dieser er­sten Einsicht nachfolgen läßt: „Lebt nicht in uns des Gottes eigene Kraft, wie könnte Göttliches uns je entzücken?" Damit wird aber die eigentliche Rück- und Kehrseite der Wirklichkeit, die Lichtquelle, ausgeblendet, die sich, um im Bild des platoni­schen Höhlengleichnisses zu sprechen, hinter uns, die wir an Händen und Füßen gefes­selt sind, befindet.

Der Forscher und Philosoph, der die Evolution für das letzte und einzige Erklärungsprinzip der Wirklichkeit hält, gleicht jenem Höhlenbewohner, der die von der unsichtbaren Licht­quelle auf die Höhlenwand pro-j izierten Schatten für die Wirk­lichkeit schlechthin hält.

Daher ist eine solche Er­kenntnis bei allen Fortschrit­ten, die siebringt, doch unvoll­ständig und philosophisch naiv.

KONRAD LORENZ. Leben und Werk eines großen Naturforschers. Von Franz M. Wuketits. Piper Verlag, München/Zü­rich 1990. 286 Seiten, geb., öS 374,40.

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