6919998-1981_41_07.jpg
Digital In Arbeit

Die Wandlungen der „Solidarność“

Werbung
Werbung
Werbung

Das Verdrängen der Tatsache, daß Polen ein „sozialistisches" Land ist, war eines der auffälligsten und auch emotionell berührendsten Erlebnisse beim Kongreß der „Solidarität" in der Sporthalle in Danzig-Oliwia.

Der Wunsch der Polen und der Gewerkschaft „Solidarität" für polnische Probleme polnische Lösungen zu suchen war so machtvoll, daß sich wirklich niemand diesem Sog entziehen konnte-und selbst in den Dokumenten dieses Gewerkschaftstages findet sich ja nur ein karger, wenn auch äußerst kluger Hinweis auf die Tatsache, daß man bestehende Bündnisse nicht antasten und die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges respektieren wolle.

Alles, was sonst auf diesem Kongreß in Danzig geredet und beschlossen wurde, was an erre-

genden Debatten, Ereignissen und symbolträchtigen Szenen geschah, nahm gewissermaßen Abstand vom politischen Umfeld.

Die scheinbaren oder tatsächlichen unauflöslichen Paradoxien, die die polnische Entwicklung seit dem August 1980 so nachhaltig prägen, wurden auch bei diesem ersten Kongreß einer regierungsunabhängigen Gewerkschaft im Ostblock überdeutlich.

• Die„Solidarität"hatsichseit dem Augenblick, da sie als Gewerkschaft registriert wurde, eben vom rein Gewerkschaftlichen wegentwickelt. Sie ist heute mehr denn je eine breite gesellschaftliche Massenbewegung, deren Programm nur noch sehr wenig mit der Artikulierung von Ar-beiternehmerinteressen im engeren Sinn zu tun hat, sondern vielmehr als eine „Charta der Menschenrechte" angesehen werden muß.

Die „Solidarität" ist nicht der Vertreter der Wünsche einer Klasse, sondern ganz im Gegenteil der machtvolle Anwalt der Interessen der Mehrheit des Volkes. Sie ist eben deswegen weniger als eine Partei, aber mehr als eine Gewerkschaft.

• Der Verlauf der Diskussionen und auch die gefaßten Beschlüsse zeigen eine weitere Para-doxie auf. Sie sind eine kaum ver-

einbare Mischung von Realitätssinn und Utopie, realistisch in der Forderung nach dem Unmöglichen.

Klassisches Beispiel — das Ver-

langen nach freien Wahlen mit unabhängigen Kandidaten zunächst zu den Kommunalvertretungen, den sogenannten „Volksräten", später dann zum Parlament, das eine echte Volksvertretung und faktisch oberste Gewalt sein soll. So realistisch und konkret im Ansatz das ist, so utopisch muß diese Forderung angesichts der Machtverhältnisse, der geopo-litischen Situation, des Bündnissystems, das ja anerkannt wird, sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung