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„Für die Freiheit des Wortes44

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FURCHE: Zum dritten Mal tagt der PEN-Club in Wien. Ist der PEN des Jahres 1975 noch derselbe wie 1929 oder 1955?

SCHÖNWIESE: Gewisse Dinge mögen sich gewandelt haben, aber der Wesenskern ist in der PEN-Charta niedergelegt, die heute wie damals gültig ist. Es ist das große Anliegen des PEN-Clubs, daß Kollegen aus den verschiedensten Ländern mit den verschiedensten Gesellschaftsordnungen und Weltanschauungen einander begegnen und miteinander reden. Die große Gefahr, die ich sehe, ist die Vereinzelung, der Zerfall nicht nur der Menschengruppen, sondern schon der Menschen selber, es ist ja beinahe schon jeder eine Insel geworden. Hier sehe ich die Chance des PEN-Clubs, denn natürlich, wenn keine Gesprächsbasis mehr da ist, kann man nicht mehr miteinander reden. Wenn man aber gewisse Prinzipien, Grundsätze anerkannt hat, und das scheint mir beim PEN durch die Prinzipien seiner Charta gegeben, kann man zwar Gegensätze vielleicht nicht völlig ausräumen, aber es muß dann doch Annäherungsmöglichkeiten geben, Möglichkeiten, miteinander zu reden. Und das Wachhalten des Miteinander-Redens scheint mir so wichtig.

FURCHE: Nun redet man ja miteinander unter anderem auch, um etwas zu erreichen. Was will der PEN-Club durch das Reden erreichen?

SCHÖNWIESE: Das in der PEN-Charta festgelegte Ziel ist die freie, in Frieden lebende Welt, in der die Menschen einander achten, es die Gegensätze der Nationen und rassischen Gegensätze nicht mehr gibt, jede Art von Haß abgebaut wird. Voraussetzungen dafür sind die Freiheit des Wortes, zum Beispiel die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit des Schriftstellers...

FURCHE: Letztere hat aber auch ökonomische Voraussetzungen.

SCHÖNWIESE: Man darf den PEN niemals — wie es oft geschjeht — mit einer Interessenorganisation der Schriftsteller verwechseln, genau dies ist er nicht. Dazu sind gewerkschaftliche oder gewerkschaftsähnliche Organisationen da — oft vom PEN gefördert.

FURCHE: Der PEN will also nicht für die Schriftsteller, sondern durch sie etwas erreichen?

SCHÖNWIESE: Beides. Er will für die Schriftsteller ihre Freiheit und Unabhängigkeit in dem, was sie schreiben, daß sie also stets die Möglichkeit haben, zu sagen, was ist, anzuprangern, was angeprangert werden muß, und mit ihnen die freie, in' Frieden lebende Welt.

FURCHE: Wie kämpft man zum Beispiel gemeinsam mit ostdeutschen Schriftstellern für die Freiheit des Wortes?

SCHÖNWIESE: Der bevorstehende Kongreß wird zeigen müssen, wieweit man da einander begegnen kann, aber der PEN hat es immer verstanden, Ungerechtigkeiten, Beschränkungen der Freiheit des Schriftstellers, entgegenzutreten, ob sie von links oder rechts kommen. Da hat er nie Unterschiede gekannt. Und es ist allerhand erreicht worden — mit Protesten, aber auch mit höflichen Ersuchen, Bitten um Überprüfung. Wir haben so manchem Kollegen seine Freiheit gerettet, das kommt des öfteren vor, wird aber nicht immer an die große Glocke gehängt. Einem Menschen drei Jahre Kerker zu ersparen — oder auch nur die Möglichkeit zu verschaffen, ins Ausland zu reisen — das ist schon eine große Sache. •

FURCHE: Der Kongreß steht unter dem Motto „30 Jahre Frieden für den europäischen Autor“. Sollte hier nicht ein Fragezeichen angehängt werden?

SCHÖNWIESE: Man kann ruhig ein Fragezeichen dahinter machen, denn diese Frage wird nicht vordergründig behandelt werden. Man wird auch fragen müssen: was ist Frieden wirklich — ist er wirklich nicht mehr als der Gegensatz zum Krieg? So verstanden, wird das Thema sehr interessant werden.

Mit Professor Schönwiese sprach Hellmut Butterweck.

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