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Nur Ägypten war dagegen

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Im 55. Jahr seines Bestehens berief der PEN-Club seinen 41. Internationalen Kongreß (es gibt daneben auch „Konferenzen“ nationaler PEN-Zentren) wieder nach London ein, wo er 1921 gegründet worden war. Die meisten der 76 Zentren hatten Delegationen entsandt, dazu kamen viele Mitglieder, interessiert an einer globalen Solidarität von Schriftstellern aller Art: Sie führen ja die Diskussion um den geistigen Fortgang der Welt.

Wie wichtig diese Vereinigung allseits genommen wird, geht schon aus den Angriffen hervor, denen sie ständig ausgesetzt ist: Man ist immer wieder unzufrieden mit dem PEN, und das ist ihm ganz recht. Er ist auch nie zufrieden mit sich, und das regt ihn zu weiteren und besseren Aktivitäten an. Wenn ein PEN-Zentrum nichts oder zuwenig von sich hören läßt, kann es vom Kongreß suspendiert werden: Androhung des Ausschlusses, und so ein Wink wird immer wieder einmal gegeben. So wurde die beim

Wiener Kongreß 1975 ausgesprochene Suspendierung des Zentrums Johannesburg (für Farbige) wegen Inakti-vität nun wieder aufgehoben; es wurde reaktiviert, weil es sich rasch gebessert hatte.

Aus Polen war am ersten Kon-greßiag ein Telegramm eingelangt, worin die Sektion „mit tiefem Bedauern“ (ohne Angabe von Gründen) ihre Teilnahme absagte. Aber man kannte die Gründe. Polen hatte sich beim letzten Kongreß ideologisch sehr kühn exponiert, und nun hatte der sowieso als eigenwillig bekannte Wladyslaw Barto-szewski, wiewohl offizieller Delegierter, keine Ausreisegenehmigung erhalten. Spontan und solidarisch verzichteten daraufhin die übrigen fünf Teilnehmer auf die Londonreise. So eine demonstrative Haltung beweist Rückgrat und zeigt, wie hartnäckig unter nichtdemokratischer Herrschaft um Redefreiheit gerungen wird, wie wichtig und ermutigend also die vielbelächelten PEN-Proteste über den Eisernen

Vorhang hinweg für die dort lebenden Literaten sind.

Ein PEN-Kongreß geht zweifach vor sich: Auf offener Bühne und hinter den Kulissen. Das offizielle Kongreßthema lautete „Die Wahrheit der Phantasie“ („The Truth of Imagination“), ein Zitat aus einem Brief, den der große englische Lyriker und Dramatiker John Keais 1817 an seinen Freund Benjamin Bailay geschrieben hat. Bei der „Opening Ceremony“ in der sehr modernen Queen Elizabeth Hall untersuchte Arthur Koestler als Hauptredner den Kongreßtitel wissenschaftlich, jedoch ohne direkte oder indirekte weltanschauliche Anspielung. Bei den vier „literarischen Sitzungen“ der folgenden Tage würde das Thema für die Sparten Lyrik, Roman, Film/ Rundfunk/Fernsehen und Dramatik diskutiert. Es gab eine Reihe feierlicher Empfänge und weitere Ansprachen, besonders beim opulenten Schlußbankett in der prächtigen Louis-Napoleon-Suite im 4. Stock des Cafe Royal auf dem Piccadüly. Soweit die gesellschaftliche Außenseite.

Die Insidestory ist natürlich interessanter. Sie handelt von den vier Sitzungen des Exekutivkomitees hinter geschlossenen Türen. Apropos ge-

schlossene Türen: Beim Kongreß in Wien war beschlossen worden, diese Beratungen künftig öffentlich abzuhalten. Dagegen protestierte in London die Vertretung der Bundesrepublik, nicht weil sie für geheime Besprechungen, sondern weil der Kongreß für so einen Beschluß nicht zuständig war. Sie behielt recht, und die Türen waren wieder zu. In Wien war auch, auf Antrag Österreichs, Deutsch wieder als dritte Konferenzsprache (neben Englisch und Französisch) zugelassen worden. Doch hatte man mittlerweile herausgefunden, daß das eine „verfassungsändernde“ Bestimmung wäre, die eine Zweidrittelmajorität gebraucht hätte. Sie hatte aber nur einfache Mehrheit erhalten. Die Bundesrepublik und Österreich hatten jedoch inzwischen die recht teure Übersetzungsanlage bezahlt, die auch installiert war, und so wurde Deutsch inoffiziell zugelassen. Auch der Delegierte des französischen PEN-Zen-trums der Schweiz und sogar ein Jugoslawe redeten deutsch, dafür bediente sich der DDR-Delegierte Keisch der französischen Sprache, „um breiter verstanden zu werden“.

Ägypten forderte den Ausschluß Israels, andere wollten Südafrika draußen haben: Im Boxsport nennt

man das Exhibitionskämpfe. Weit pikanter einzelne Abstimmungsergebnisse. Frankreich beispielsweise brachte eine Resolution ein, an die Sowjetunion (kein PEN-Mitglied) zu appellieren, sie möge den Schriftsteller Wladimir Bukowski freilassen. Angenommen mit großer Mehrheit, ohne Gegenstimme, mit nur drei Enthaltungen, mithin keine Blockbildung anwesender Ostblockstaaten. Der indische Delegierte beklagte in einem langen Statement offen die strikte Zeitungszensur in seinem Lande, ohne Bedenken, was ihn nach der Heimkehr erwarten könnte. Und eine amerikanische Resolution, welche 31 Staaten namentlich aufforderte, die dort wegen der Äußerung ihrer Ideen inhaftierten Autoren freizulassen, wurde mit großer Mehrheit angenommen, bei nur einer Gegenstimme (Ägypten!) und fünf Enthaltungen. Wiewohl Südkorea auf der Liste stand, stimmte der dortige Delegierte für die Annahme. Hervorzuheben ferner: Auch der namhafte DDR-Poet Stephan Hermlin (internationaler PEN-Vizepräsident) war für die Resolution. Kurzum: London war eine Reise wert. Der 41. Internationale PEN-Kongreß hat sich ausgezahlt.

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