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„Er darf nidit nur, er soll“

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Als im Wiener Hiiton-Hotel der 40. Internationale PEN-Kongreß tagte und die Tagespresse sich dieses Ereignisses ungewöhnlich intensiv annahm, da las wohl mancher aufmerksame Leser zwischen den Zeilen die echt österreichische Frage heraus: „Ja, dürfen's denn das?“ Die Schriftsteller nämlich, die unbotmäßigen, diskutierten lautstark und unüberhörbar über Politik. Und das, obwohl man gerade in letzter Zeit dem PEN-Club tadelnd bescheinigt hatte, ein elitärer Altherrenklub zu sein, ein Verein zur Förderung Minderbegabter und Ablehnung Höherbegabter, eine um ihre Monopolstellung ringende Mafia.

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Als im Wiener Hiiton-Hotel der 40. Internationale PEN-Kongreß tagte und die Tagespresse sich dieses Ereignisses ungewöhnlich intensiv annahm, da las wohl mancher aufmerksame Leser zwischen den Zeilen die echt österreichische Frage heraus: „Ja, dürfen's denn das?“ Die Schriftsteller nämlich, die unbotmäßigen, diskutierten lautstark und unüberhörbar über Politik. Und das, obwohl man gerade in letzter Zeit dem PEN-Club tadelnd bescheinigt hatte, ein elitärer Altherrenklub zu sein, ein Verein zur Förderung Minderbegabter und Ablehnung Höherbegabter, eine um ihre Monopolstellung ringende Mafia.

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So trat wieder einmal ein fundamentales Mißverständnis zu Tage, unausrottbar offenbar gerade dadurch, weil es so leicht zu erkennen ist. Der PEN war vom Tag seiner Gründung an (1921) nie als Interessenvertretung seiner Mitglieder gedacht, keine Gewerkschaft, die Honorare aushandelte, keine Agentur, die Manuskripte placierte, kein Kartell, das Verträge vermittelte und Posten bereithielt. Es ging — und geht heute noch — einfach darum, in einer von Kriegen, Haß und Vorurteilen zerrissenen Welt wenigstens die Schriftsteller in dieser Art „Völkerbund des Geistes“ (Schalom Asch) zu vereinigen, damit sie miteinander redeten. Vorausgesetzt wurde nicht holde Eintracht — wo sollte es die unter Menschen, noch dazu unter schriftstellernden, geben können! — sondern der Wille zum Dialog, das Bekenntnis zur freien Meinungsäußerung jedes Menschen, also auch des Schriftstellers, und im Sinne der PEN-Charta „die Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhaß“, „die Hochhaltung des Ideals einer in einer einigen Welt in Frieden lebenden Menschheit“. Dürfen's also doch!

Das Schweizer Nicht-PEN-Mit-glied Friedrich Dürrenmatt sowie die österreichischen PEN-Mitglieder Heer und Strelka dürfen sich ebenso gegen die Antiaionismus-Resolution der UNO aussprechen wie das ostdeutsche PEN-Mitglied Keisch — wenn auch unter stürmischem Publikumsprotest — dafür. Man darf in den Sitzungen der Exekutivkomitees sich ebenso mit verfolgten tschechischen Schriftstellern solidarisieren, wie der westdeutsche Delegierte Fabian gegen Verfahrensweisen Bedenken anmelden und sich schließlich der Stimme enthalten durfte. Man darf über Chile dabattieren, man darf über alles reden, was in dieser Welt geschieht, für die und über die der Schriftsteller schreibt und mit der sich auseinanderzusetzen er täglich gezwungen ist. Er darf nicht nur, er soll, und oft genug setzt ein PEN-Mitglied seinen Namen auf eine Unterschriftenliste neben den eines literatischen Gegners und stellt sich damit gegen das Credo eines persönlichen Freundes. Warum auch nicht?

Dreihundert Schriftsteller aus 44 Ländern im Wiener Hiiton-Hotel. Schöngeister, vitale Persönlichkeiten, Schwätzer und Liberale, Kämpfer und ideologisch Getretene. Darüber hinaus dreihundert Individualisten, kaum einer auch nur in mehreren Punkten einig mit einem anderen. Grundthema der literarischen Sitzungen: immer wieder Ideologie und immer wieder Verantwortung — letzteres eher ein selten gebrauchtes Wort bei literarischen Veranstaltungen. Von der vieldiskutierten Absage Dürrenmatts an jede Ideologie über Viktor Frankls viel zu wenig beachtetes Referat, das die Verantwortung des Schriftstellers seinem einzelnen Leser gegenüber bis zur Verantwortung für dessen mögliche Heilung trieb, bis zu Manes Sperbers Vortrag. Hier trafen sich die resignierende Erkenntnis, daß Literatur den Lauf der Weltgeschichte noch nie beeinflußt habe („Wenn Ihnen jemand erzählt, daß die Leute nach tem Besuch von Beaumarchais' ,Fi-garo' die Bastille gestürmt haben, glauben Sie es nicht! Es ist einfach nicht wahr!“) wie — trotzdem! — die Verpflichtung zur Verantwortlichkeit. Was für ein Labsal nach all den Versicherungen von Autoren, denen die Gier nach Erfolg und Auflagensteigerung aus den Augen springt, ihr Publikum interessiere sie nicht!

Das Unibehagen an Frankls Vortrag, der Versuch, darüber am besten hinwegzugehen, zeigte seine Wirkung, ebenso wie der Versuch des Amerikaners Vonnegut, Frankls Forderung zu ironisieren („Er verlangt von uns eine wirksame Therapie für zum Tod Verurteilte“). Als ob nicht jeder Autor ebenso zum Tod verurteilt wäre wie jeder seiner Leser, auch wenn Gesundheitsministerien in aller Welt eifrig bestrebt sind, dies zu ändern. — „Worüber die nur so viel reden müssen?“ fragte ein von der Boulevardpresse informierter Taxler, und man hätte ihm antworten sollen: „Über das Reden zum Beispiel.“ Denn das wird offenbar immer schwieriger. Das zeigte sich so deutlich beim Versuch des Wahlösterreichers Vintila Ivan-ceanu, sich verständlich zu machen, als er in drastischen Bildern mit der in Ost und West gleichermaßen von Ideologien und Medien mißbrauchten Literatur abrechnete und seine Forderung nach Verantwortlichkeit mit dem Appell an das „ästhetische Gewissen“ verband. Der Teilnehmerkreis der anschließenden Diskussion war nicht groß, und doch herrschte schon wenige Minuten nach deren Beginn ein Wort- und Begriffschaos, so daß man nur sagen kann: verließen die Schriftsteller nicht von Zeit zu Zeit ihre elfenbeinernen Türme, um sich auf solchen Tagungen zu treffen und nachzusehen, was in den anderen Türmen los ist, Babylon wäre längst über uns hereingebrochen.

„Dreißig Jahre Frieden für europäische Schriftsteller“ hieß das Thema des Kongresses, und Skeptiker wollten ein Fragezeichen dahinter-sefzen. Schon die Resolutionen der Exekutivsitzungen, die um Freiheit, lim Arbeitsmöglichkeiten für Kollegen, um Herausgabe von beschlagnahmten Manuskripten und Büchern bitten mußten, sprachen für das Fragezeichen. Der PEN-Kollege aus Südkorea allerdings begann auf jede Frage nach seinen Kongreßeindrük-ken von der Stadt zu schwärmen, wo alles so friedvoll und in Ordnung, so ohne Probleme und so unzerstört teei! Der Amerikaner Cargas wiederum entrollte in einem naiv-leidenschaftlichen Appell an das Gewissen der Zuhörer, die dafür zu sorgen hätten, daß es in den nächsten dreißig Jahren kein Gefängnis und keinen Meinungsterror geben möge, ein Plakat mit, 500 Namen von Schriftstellern im Gefängnis.

So unterschiedlich kann ein Thema interpretiert werden und dennoch ein Gemeinsames bringen: der Versuchung, den Menschen aus der Literatur auszuklammern, zu widerstehen. Das Wort von Adorno, nach Auschwitz kein Gedicht mehr, zu widerlegen und weiter Gedichte zu schreiben wie Afiaron Megged. Trotz mehrerer Kriege in diesen dreißig Friedensjahren und trotz des furchtbaren Erbes aus den Konzentrationslagern zu sagen: „Und doch sind wir immer noch Dichter, Romanschriftsteller, Essayisten, und doch schreiben wir weiter. Wir tun es, obwohl wir die furchtbare Wirklichkeit des

Lebens kennen. Obwohl wir wissen, daß Worte keine Macht haben, ein Leben zu retten, wissen wir zur gleichen Zeit doch, daß sie die Macht haben, dem Leben einen Sinn zu geben. Im Anfang war das Wort. Und jedes neue Wort ist ein neuer Anfang.“

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