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Doch Integration

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In der letzten Oktoberwoche wurde von den Massenmedien lakonisch berichtet, daß in Moskau ein Friedenskongreß stattfände. Beteiligt seien neben kommunistischen Vertretern aus der ganzen Welt in starkem Maße die blockfreien Länder. Ebenso knapp waren die Notizen über den Ausgang iieser weltumfassenden Versammlung.

Dazu möchte ich aus eigener Anschauung einiges hinzufügen, teils ergänzend, teils aber auch berichtigend. Es war auffallend, daß die blockfreien Länder tatsächlich in großem Ausmaß vertreten waren, und dies nicht nur im Hinblick auf die Zahl der Länder, sondern auch die Stärke der Delegationen. So wies die indische Delegation rund 150 Mitglieder auf, von ihnen 85 Parlamentsabgeordnete. Sicherlich hat Moskau seine Chance xoahrgenom-men, der „Dritten Welt“ gegenüber die Rolle eines Gönners einzunehmen. Es trifft zu, daß die Vertreter anderer Länder in stärkerem Aus-

maß aus jenen politischen Kreisen kamen, für die die Sowjetunion das ideologische Heimatland bildet. Falsch wäre es hingegen, die Vertretung in diesen Kreisen allein zu suchen. Auch die Gastgeber waren sich dessen bewußt, Vertreter rechtsstehender politischer Parteien und religiöser Bekenntnisse eingeladen zu haben. Damit meinen wir nicht jene stets wiederkehrenden Figuren, die man im Westen gerne als Friedenspriester abtut, sondern durchaus unabhängige, nichtkommunistisch orientierte Kirchenvertreter.

Die sorgfältig vorbereiteten Papiere der 14 Arbeitskommissionen wurden zur freien Diskussion gestellt. Infolgedessen konnte es nicht verwundern, daß bei den zahlreichen Wortmeldungen die Meinungen zum Teil nicht nur auseinandergingen, sondern auch ein so heißes Eisen xoie Sacharow angepackt werden konnte. Es fiel allerdings auf, daß gerade diesen Anspielungen oder auch Angriffen das von den Sprechern ersehnte Echo fehlte.

Es war nicht zu übersehen, daß die sowjetische Öffentlichkeit auch heute noch von einem Phänomen beherrscht wird, ohne das der Ausgang des Zweiten Weltkriegs nicht erklärlich wäre. Vielleicht kann man es als Vaterlandsliebe bezeichnen, vielleicht auch als Abneigung gegen jene, die ihre eigene Heimat vor Ausländern öffentlich bloßstellen. Mag sein, daß die ersten Wortmeldungen Sacharows die Öffentlichkeit aufhorchen ließen; durch sein jetziges Vorgehen hat er sich deutlich im Gegensatz zum eigenen Volk gestellt. Hier müßte vom Westen her doch offen gefragt werden, ob er der Gesprächspartner ist, mit dem man in sinnvoller Weise innersowjeiische Probleme erörtern kann.

Trotz der sorgfältigen Vorbereitungen kam es zu zahlreichen Ab-änderungs- und Zusatzvorschlägen; soweit möglich, wurden sie in der Endfassung berücksichtigt. Dabei denke ich etwa an das Papier der Kommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit, deren Vorsitzender ein anerkannter österreichischer Fachmann war, dem wirklich nicht nachgesagt werden konnte, er stünde der kommunistischen Partei nahe.

Der Heilige Stuhl war nicht vertreten, fast wäre man versucht zu sagen, daß er es leider nicht war. Beachtet man jedoch die immer wiederkehrende Kritik an der Ostpolitik des Vatikans, so wird man verstehen, wie es zu dieser Reserve kommen mußte. Wenn dies bedauerlich erscheint, so geschieht es weniger vom Gedanken her, was man hätte gewinnen können, als auf Grund der Erwägung, daß einiges hätte vermieden werden können. Es war auf dem Kongreß kein Geheimnis, daß außer Bischöfen und Priestern anderer Bekenntnisse, auch etwa 50 katholische Geistliche, am Kongreß teilnahmen. Gerade diese Gruppe war sehr bunt zusammengewürfelt. Neben sachlichen Beobachtern gab es Schioür-mer, wirklichkeitsfremde Fanatiker, Schwätzer und Wichtigtuer. Zum Teil beriefen sie sich auf nichtexistente Aufträge oder Delegationen; es fehlte demnach eine klare Linie. Nun darf gesagt werden, daß die Sowjets höflich oder auch freundlich jedem Teilnehmer begegnet sind, daß die kritische Einschätzung jedoch weitaus größer ist, als man vermutet. Nicht jeder, der sich als Vertreter der katholischen Kirche aws-gribt, wird im vollen Sinn als solcher

gewertet. Am Dialog rn.it Randerscheinungen ist man nicht interessiert. Die unausgesprochene Frage bleibt: In wessen Namen spricht er, durch wen ist er gedeckt? Eine Vertretung des Heiligen Stuhles hätte diesen Unsicherheiten und zum Teil auch Peinlichkeiten entgegenwirken können. Diese Chance wurde vertan.

Will man die Bedeutung des Kongresses abschließend beurteilen, so kann es sich nicht um propagandistische Effekte handeln, die sicherlich dem Unternehmen nicht gefehlt haben. So mancher nachdenkliche Teilnehmer des Kongresses konnte sich dem Eindruck nicht entziehen, daß ein Prozeß eingesetzt hat, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Damit meinen wir einen Prozeß der Integration, zu dem die Wirklichkeit drängt, ganz gleich, ob es um die wirtschaftliche Kooperation geht oder um weltumfassende Anliegen, die heute von einem einzigen Staat oder auch einer Gruppe von Ländern allein nicht mehr gelöst werden können. Unberührt davon bleibt der ideologische Gegensatz, von dessen Uberbrückung jedoch Koexistenz und Zusammenarbeit nicht abhängig gemacht werden können.

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