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PEN-Dammerung

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Die neue Phase, in die das österreichische PEN-Zentrum eingetreten ist, wurde mit einem Paukenschlag eingeleitet: dem spektakulären Rücktritt Lernet-Holenias, der seit dem Tod von Franz Theodor Csokor (Jänner 1969) den Club präsidiert hatte. Als seine Nachfolgerin empfahl sich in einem Rundschreiben an alle Mitglieder die langjährige Generalsekretärin, zuletzt auch Vizepräsidentin Hilde Spiel. Aber bei der entscheidenden Vollversammlung, in der ein neuer Vorstand gewählt werden mußte, kam es anders: von den 13 eingereichten Wahllisten hatte die von Dr. Roman Rocek erstellte einen entschiedenen Vorsprung, und in der ersten Sitzung des neuen Vorstandes wurde Prof. Dr. Ernst Schönwiese zum neuen Präsidenten gewählt.

Was von außen wie ein Staatsstreich, wie eine Palastrevolution aussehen mochte, war in Wirklichkeit der Ausdruck einer sich schon seit Jahren immer mehr ausbreitenden Malaise, verursacht durch geringe Aktivität und mangelnde Kontakte zwischen dem Vorstand und den Mitgliedern, zwischen diesen und und der Öffentlichkeit. Einer der Gründe für die Passivität war ohne Zweifel eine bedenkliche Uberalterung des österreichischen PEN-Zen-trums, das in letzter Zeit recht rüder Kritik ausgesetzt war, angefangen von einer Grazer Protestlergruppe (ernst jandl: „eine schände für den internationalen pen-club, eine schmach für Österreich“) bis zu einer minderjährigen „Kulturbuddlerin“ (dies der Titel der Jugendseite der Linzer Theaterzeitung): „snobistischer literatenverein“ und „die exklusiven von eigenen gnaden“ (natürlich alles klein geschrieben).

Hört und liest man solche Angriffe Außenstehender und Jugendlicher, so bietet sich zu ihrer Erklärung zunächst eine fast totale Unkenntnis des PEN, seiner Entwicklung und gegenwärtigen Struktur an. 1921 in London als exklusive Vereinigung von 40 Mitgliedern gegründet, umfaßt er heute 83 nationale PEN-Zentren mit etwa 8500 Mitgliedern. Der österreichische PEN-Club zählt 170 Mitglieder, von denen etwa 20 im Ausland leben. (Zum Vergleich: dem PEN-Zentrum der deutschen Bundesrepublik gehören 332 Schriftsteller an, dem österreichischen Schriftstellerverband“ mehr als 800!). Die Ausweitung des PEN von einer elitären zu einer — nun, sagen wir einmal — demokratischen Vereinigung ist ganz allgemein und keineswegs eine austria-kische Eigenheit. Das „getümmel von regionalen großen“ (ernst jandl) ist also keine typisch lokale Erscheinung. Vielleicht war man in den ersten Jahren nach dem Krieg ein wenig zu großzügig — jetzt jedenfalls soll genauer geprüft werden ...

PEN-Club-Mitglied kann nämlich, laut Satzungen, „jeder angesehene Schrifsteller“ werden, der von einem Mitglied dem Vorstand vorgeschlagen wird oder sich selbst darum bewirbt. Dann freilich muß er sich der Ballotage des Vorstandes unterwerfen und mindestens zwei Drittel der abgegebenen Stimmen gewinnen.

Nun hat der neue Vorstand als eine seiner ersten Aktionen sechs neue Mitglieder aufgenommen, von denen nur drei Schriftsteller im engeren Wortsinn sind. Auch hat er erklärt,jüngere Autoren zum Eintritt auffordern zu wollen. Das ist gut so und notwendig, wir sagten es eingangs. Man wird sich dabei aber streng an die Statuten, vor allem aber an die „Charta“ halten müssen, zu der in der Nr. 1 der FURCHE (vom 6. Jänner 1973, S. 11) der neue Präsident Prof. Ernst Schönwiese unter dem Titel „Freiheit und Solidarität“ eine Erklärung abgegeben hat. Darnach kommt eine Aufnahme geschlossener Gruppen nicht in Betracht. Auch mögen sich die Jungen und Neuen, die dem PEN-Club beizutreten wünschen, vergegenwärtigen, daß dieser weder eine Organisation zur materiellen Förderung junger Talente noch eine Interessengemeinschaft der Arrivierten ist. Die Mitgliedschaft zum PEN verpflichtet: zur Mitarbeit und zur eigenen Aktivität im Sinne der Charta: für die Freiheit des Wortes und der Meinungsäußerung.

Der PEN-Club ist auch kein Stoßtrupp für Klassenkämpfe, kein Werkzeug zur Veränderung der Gesellschaft, kein Instrument zur Durchsetzung irgendeiner literarischen Richtung — auch keiner avantgardistischen. Er lebt aus dem Pluralismus und für ihn. Und er ist mehr als die Summe der Einzelnen: ein Engagement. Eine seiner wichtigsten Aufgaben ist das Eintreten für Schriftsteller in Not, besonders für solche in autoritär regierten Ländern. Diesem Anliegen war er stets verpflichtet, und ihm dient speziell der Unterausschuß für Schriftsteller im Gefängnis, der Informationen über verfolgte und inhaftierte Schriftsteller sammelt und sie der Zentrale in London bekanntgibt.

Der neue Vorstand des österreichischen PEN besteht aus 20 Mitgliedern. Zu Vizepräsidenten wurden gewählt: Erik Wickenburg und Milo Dor. Generalsekretär ist R. Federmann. Das wichtige Amt des Schatzmeisters, der nicht nur für Einkünfte zu sorgen, sondern auch über die Verwendung der Mittel maßgeblich zu bestimmen hat, wurde Peter von Tramin und Dr. Roman Rocek anvertraut. Eine Initiativgruppe zur Wahrung der Meinungsfreiheit besteht aus den Autoren Karl Bednarik, Herbert Eisenreich, György Sebestyen und Peter Turrini. Ein Komitee, das von Federmann, Tramin, Rocek und Dor gebildet ist, soll sich mit dem Austausch von Publikationen und Übersetzungen beschäftigen und um direkte Kontakte mit ausländischen Autoren bemühen, zunächst mit solchen aus Italien, der Schweiz, Ungarn, Rumänien und Israel. Friedrich Heer wird einen Plan vorlegen, wie sämtliche Mitglieder mit der Arbeit des PEN und speziell mit den Projekten des Vorstandes bekanntgemacht werden können. Auch sollen ein- bis zweimal jährlich PEN-Veranstaltungen in den Bundesländern stattfinden, und es werden bereits Vorgespräche darüber eingeleitet, die dazu führen sollen, daß alljährlich während der Salzburger Festspiele dort PEN-Veranstaltungen abgehalten werden.

Man sieht: fast sämtliche Funktionen liegen — mit Ausnahme der des Präsidenten und eines Vizepräsidenten — in den Händen der jüngeren und mittleren Jahrgänge. Dies, vor allem aber der neue Präsident, gibt uns die Hoffnung, daß der PEN-Dämmerung bald ein neuer Tag folgen wird.

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