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Brauchen Dichter einen Verein?

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Am 14. September des vergangenen Jahres beschloß der Vorstand des österreichischen Schriftstellerverbandes, Alexander Lernet-Holenia anläßlich seines bevorstehenden 75. Geburtstages zum Ehrenmitglied zu ernennen. Zwei Tage vor diesem, am 19. Oktober, als der Dichter durch einen Empfang des PEN-Clubs gefeiert wurde, legte er sein Amt als Präsident des PEN nieder. Es war ein eigenwilliger, unvorhergesehener Entschluß, der mit keinerlei Rivalitäten zwischen verschiedenen Autorenvereinigungen zusammenhängt. Die oben angegebenen Daten seien um der historischen Wahrheit willen festgehalten, um etwaigen späteren Mißdeutungen vorzubeugen. Bei einer vom österreichischen Schriftstellerverhand im Palais Palffy veranstalteten Vorlesung aus seinen Werken gab Alexander Lernet-Holenia die nachstehende, ungekürzt abgedruckte Erklärung ab.

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Am 14. September des vergangenen Jahres beschloß der Vorstand des österreichischen Schriftstellerverbandes, Alexander Lernet-Holenia anläßlich seines bevorstehenden 75. Geburtstages zum Ehrenmitglied zu ernennen. Zwei Tage vor diesem, am 19. Oktober, als der Dichter durch einen Empfang des PEN-Clubs gefeiert wurde, legte er sein Amt als Präsident des PEN nieder. Es war ein eigenwilliger, unvorhergesehener Entschluß, der mit keinerlei Rivalitäten zwischen verschiedenen Autorenvereinigungen zusammenhängt. Die oben angegebenen Daten seien um der historischen Wahrheit willen festgehalten, um etwaigen späteren Mißdeutungen vorzubeugen. Bei einer vom österreichischen Schriftstellerverhand im Palais Palffy veranstalteten Vorlesung aus seinen Werken gab Alexander Lernet-Holenia die nachstehende, ungekürzt abgedruckte Erklärung ab.

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Der österreichische Schriftstellerverband ist, wie schon der Name sagt, ein Verband im eigentlichen Sinne, das heißt, daß er nur zu bestimmten Zwecken wie Generalversammlungen, Vorstandssitzungen und dergleichen zusammentritt; und das Vereinsleben bleibt auf gewisse Zusammenkünfte etwa zu Weihnachten oder aus dem Anlaß von GeClub Zeitungen gelesen und mit seinen Mitgliedern Tee getrunken bzw. gar diniert und soupiert hätte.

Daß aber der Club außerdem den Zweck hatte, dem einzelnen Schriftsteller nicht nur eine behagliche Umgebung zu bieten, sondern auch noch jene Schriftsteller, die sich gerade in einer weniger behaglichen Umgebung, nämlich im Gefängnis, befanden, aus demselben wieder herauszuholen, kann nicht der Hauptzweck, sondern nur ein — allerdings sehr schöner — Nebenzweck des Clubs gewesen sein. Denn es wäre mehr oder weniger lächerlich gewesen, eine Vereinigung von Schriftstellern nur in der Absicht zu gründen, die just eingesperrten Schriftsteller wieder zu befreien, ja auch überhaupt bloß von der Voraussetzung auszugehen, so und so viele Autoren müßten geradezu, wenngleich einander abwechselnd, per saldo aber doch ständig, sitzen. Die meisten von uns, das heißt praktisch alle bis auf diejenigen, die sich noch im zartesten Alter befinden, haben ja auch schon im Dritten Reich gelebt, in welchem man wie nichts hinter Schloß und Riegel gesetzt werden konnte, wenn man damals gesprochen bzw. geschrieben hätte, wie einem, der Schnabel, die Feder oder die Schreibmaschine gewachsen war.

Mein verstorbener, verehrter Freund und Vorgänger als Präsident des PEN-Clubs, Franz Theodor Csokor, nahm den Beruf eines Schriftstellers allerdings so wichtig und tragisch zugleich, daß er immerzu Protestschreiben an diejenigen Staaten sandte, in denen gerade der eine oder andere seiner Kollegen festgesetzt worden war. Man glaube aber mir als altem Soldaten, daß sich leider, leider! weder der russische noch der jugoslawische und griechische oder gar der portugiesische Generalstab von solchen Zuschriften sonderlich beeindruckt gezeigt haben können. Denn die genannten Einheiten waren schon aus beruflichen Gründen niemals sehr musisch gestimmt, und Leute, die aus der Armee in die Dichtung hinübergewechselt sind, wie etwa Lilien-cron, Münchhausen, der Oberstabsarzt Gottfried Benn und ich, sind selten.

Da also das Clubleben im PEN ohnedies geringfügig war und auch seine politischen Interventionen nicht gerne zur Kenntnis genommen wurden, vor allem jedoch weil das Dichten nicht aus geselligen Zusammenkünften, sondern aus literarischer Arbeit einzelner, mehr oder weniger ungeselliger Autoren besteht, die zu ihren Hervorbringungen bloß eines Bleistifts und eines Blattes Papier, nicht jedoch irgendwelcher Kollegen bedürfen, so erhebt sich die Frage, wozu denn der PEN-Club eigentlich überhaupt da ist. Die Antwort ist verhältnismäßig leicht zu geben, und man braucht demjenigen, der darauf zu antworten vermag, nicht einmal die Krone von Polen zu versprechen: Der PEN-Club ist nur da, um sich in sich selbst mit sich selbst auseinanderzusetzen.

Ich, zum Beispiel, habe das an der Weise getan, daß ich aus ihm ausgetreten bin. Ich möchte jedoch ausdrücklich betonen, daß ich das nicht etwa der Person Heinrich Bolls wegen getan habe. Im Gegenteil, ich schätze Boll, als Autor, ungemein hoch ein, und ich habe auch nie ein Hehl aus dieser meiner persönlichen Wertschätzung für ihn gemacht. Ich habe vielmehr die Verleihung des Nobelpreises an ihn lediglich zum Anlaß genommen, die deutsche Nation wissen zu lassen, daß sie sich nicht länger vom schwedischen Nobelpreiskomitee an der Nase herumführen lassen soll. Schon die Intervention des Schwedenkönigs Gustav Adolf hat uns vor Jahrhunderten genug zu schaffen gemacht; und nun wollen sich die Schweden wiederum, auf dem Umweg über die Literatur, in unsere Belange mischen. Genug von diesen Schweden, die so sehr in der Nähe des Polarkreises sitzen, daß sie sich dort oben bloß langweilen!

Alles in allem aber hatte bei uns in Österreich auch die sogenannte steirische Richtung durchaus recht: Es war im PEN-Club nicht eben lustiger gewesen, als es in Schweden ist. Nun jedoch ist endlich für Abwechslung gesorgt. Sie wird gewiß eine Zeitlang weiterwähren, und was das Ergebnis sein wird, so weiß man es, wie bei allen notwendigen und echten Bewegungen, nicht im voraus. Vielleicht auch wird die PEN-Olub-Krise mit der Dollarkrise enden, vielleicht erst später. Mit Galsworthy jedenfalls hat der PEN-Club nicht mehr viel zu tun; und man muß nur noch eine Zeit warten können, dann erweist er sich bestimmt als einer der abwechslungsreichsten Vereine.

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