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Digital In Arbeit

Herbert J. und die Bürokratie

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Mitte Juli wurde Herbert Jasch-ke* zum dritten Mal aus der Haft entlassen. Bis auf fünf Tage, die zur Bewährung ausgesetzt worden sind, hat er seine Strafe verbüßt.

In die "Freiheit" entlassen wurde er ohne Personalausweis, ohne Staatsbürgerschaftsnachweis, ohne Geburtsurkunde. Da er noch einige Tage Haft offen hat, ist ein Bewährungshelfer für ihn zuständig. Doch der hat dreißig Probanden zu betreuen und ist eigentlich froh, wenn er die Arbeit irgendwie bewältigen kann. Wirkliche Hilfe ist er keine.

Merkwürdig berührt die Tatsa-che, daß Herbert Jaschke ohne Personaldokumente verhaftet, vor Gericht gestellt, abgeurteilt und ins Gefängnis gesteckt werden konnte, doch nun ohne .Legitimationsmöglichkeit mit größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Von Bürokraten verursacht. Der Teufelskreis, in dem er steckt, nimmt sich bizarr aus: Um einen Personalausweis zu bekommen, brauchte er Dokumente.

Um sich diese ausstellen zu lassen, brauchte er Geld, das bekäme er vom Sozialreferat der Gemeinde Wien. Dort müßte er seine Identität mit einem Lichtbildausweis belegen können. Von der Individualhil-fe könnte er das nötige Geld für Papiere bekommen, wenn er jene Hilfe erführe, die seine Schwellenangst mindert.

Diese hat ihre Wurzeln in seiner "Karriere": Der Mutter unmittelbar nach der Geburt abgenommen, angeblich war sie als Geheimprostituierte aktenkundig, kam er in die Kinderübernahmsstelle, danach in ein Heim, anschließend in Pflege zu einer Witwe. Diese wurde mit Delirium tremens in die Klinik eingeliefert und Herbert Jaschke erneut ins Heim gesteckt. Bis heute hat er zweiundzwanzig verschiedene Aufenthaltsorte öffentlicher Fürsorge kennengelernt. Der Schwierige wurde immer wieder abgeschoben, wenn sich die Er-zieher überfordert fühlten. Jetzt brauchte er dringend Hilfe von seinem Bewährungshelfer, doch der ist - wie gesagt - mit zu vielen Probanden überlastet.

Herbert Jaschke weiß nicht wohin er gehen soll. So sucht er irgendwo Unterschlupf. Manchmal schläft er in Abbruchhäusern, in Containern der Altkleidersammlung oder sucht für eine Nacht Quartier auf einem Dachboden, der ille-gal an Obdachlose vermietet wird. Nahrungsmittel für den täglichen Bedarf erbettelt er von Zufallsbekanntschaften oder stiehlt sie.

Den Weg zum Arbeitsamt hätte er sich sparen können: Mitte Januar 1991 soll er wieder kommen, vielleicht findet sich bis dahin eine freie Stelle. Bei Betrachtung der Situation von Herbert Jaschke kommt man zwangsläufig zur Frage: Warum können Bürokraten so gedankenlos sein? Einen Menschen ohne Geld, ohne Papiere, vorbestraft, ohne Arbeitsplatz und ohne gesicherte Wohnmöglichkeit in die Gesellschaft zu entlassen, muß dazu führen, daß er weiter kriminalisiert wird.

Seine hoffnungslose Situation beschreibt Jaschke so: "Im Häfen ist es schöner als heraußen."

Jaschke ist heimatlos geworden: Im Gefängnis träumt er vom Leben in Freiheit, wo er entscheiden kann, was er unternimmt, nach der Ent­lassung erinnert er sich an die Haft; dort hatte er noch Leidensgenossen, die ihn verstanden haben. Und eine Behausung.

Da Herbert Jaschke kein Einzelfall ist - viele aus Haft oder aus Heimen Entlassene haben die von der Bürokratie geforderten Papiere verloren oder nie erhalten - müßte doch die Forderung durchzusetzen sein, daß jeder, der in die Gesell-schaft (re-)sozialisiert werden soll, zumindest von einem Slalom durch die Ämter freigespielt wird. Zu einer Standardausstattung eines Entlassenen müßte ein geordnetes Set an Personaldokumentengehören. Und zwar bei jeder Haftentlassung. Das sollte keine Schwierigkeit sein: Denn Zeit für Erhebungen ist in Hülle und Fülle vorhanden.

"Name von der Redaktion geändert

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