7010487-1988_06_11.jpg
Digital In Arbeit

der Kriminalisierung

Werbung
Werbung
Werbung

Schützling schon im Gefängnis Kontakt aufgenommen, nicht erst bei der Entlassung. Diese bringt den Probanden nämlich in eine besonders schwierige Situation. Da ist es gut, ihn schon zu kennen, wenn man ihn vom Gefängnis abholt.

In diesen Fällen ist die Betreuung anfangs vor allem Management: Wohnungssuche, Kontakte zur Familie vermitteln, Arbeitsplatzsuche, Lösungen erkunden für das Abtragen eventuell vorhandener Schulden...

Für all jene, die aus der Haft entlassen werden und keinen Bewährungshelfer bekommen, gibt es die Zentralstelle für Haftentlassene in Wien. Dort wird jeder kurzfristig beraten, und jeder bekommt Hilfe.

FURCHE: Und wie sieht es da mit der persönlichen Betreuung(XliS ?

SCHNITZER: Eine wichtige Aufgabe ist die Aufarbeitung der Haftschäden. Im Gefängnis bekommen die meisten einen ziemlichen „Depscher“ ab. Man wird ja dort dauernd in Abhängigkeit gehalten, verliert den Bezug zur Realität, zur Zeit. Im Gefängnis wird jeder Schritt angeordnet, man wird im Grunde genommen wie ein Baby behandelt und verliert die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen.

Auch die Fähigkeit, Kontakte zu knüpfen, leidet. In der Zelle ist ohnedies immer jemand da — ob er einem liegt oder nicht. In der Freiheit geraten aber viele in die Isolation. Sie brauchen mindestens ein halbes Jahr, um wieder halbwegs normal zu werden.

GRIESSLER: Ich habe einen Probanden, der sich zunächst in seiner Wohnung eingesperrt hat. Er dachte, jeder auf der Straße sehe ihm an, daß er aus der Haft komme. Meine erste Arbeit bestand einfach darin, mit ihm auf die Straße zu gehen, damit er langsam erkennen konnte, daß gar nichts passiert. Jetzt gehen wir schon manchmal ins Kaffeehaus - eine Sensation.

FURCHE: Wie erfolgreich sind Sie bei der Arbeitsvermittlung?

GRIESSLER: Das ist schwierig. Beim Bund, bei den Ländern und Gemeinden ist es ganz aussichtslos. Nicht einmal bei der Müllabfuhr oder als Straßenkehrer kann man Vorbestrafte unterbringen!

SCHNITZER: Die schlechte Wirtschaftslage schlägt bei uns voll durch. Gott sei Dank hat jeder von uns Kontakte zu bestimmten Firmen, die doch immer wieder bereit sind, einem unserer Schützlinge eine Chance zu geben. Aber die öffentliche Hand — nicht die geringste Chance!

FURCHE: Und wie sieht es mit der Unterbringung aus?

SCHNITZER: Im allgemeinen sind wir auf Wohnungsmakler angewiesen. Das Sozialamt in Wien gibt Aufwendungen bis zu 6000 Schilling ab. Damit landen die meisten Probanden in Sub-standard-Wohnungen. Können sie dann mangels Beschäftigung die Miete nicht zahlen, muß das Sozialamt oft monatelang einspringen. Wäre es da nicht sinnvoller, Gemeindewohnungen zur Verfügung zu stellen?

FURCHE: Wie kommen Bewährungshelfer mit ihrer Aufgabe zurecht?

MICHAEL KÖNIGSHOFER: Hauptamtliche Bewährungshelfer betreuen 30, ehrenamtliche fünf Probanden (meist die leichteren Fälle). Je schwieriger die Fälle, umso weniger Erfolgserlebnisse hat man. Das belastet. Daher braucht man auch andere Erfahrungen, als nur immer wieder die des menschlichen Elends. Die Su-pervision für Bewährungshelfer gibt da immer wieder Kraft.

Ohne große Frustrationstoleranz kann man diesen Beruf nicht ausüben. Das wird derzeit zu wenig berücksichtigt. Man müßte längere Erholungsphasen vorsehen, etwa eine den Lehrern angepaßte Urlaubsregelung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung