Krieg ist normal
Über die historische Normalität menschlicher Barbarei.
Über die historische Normalität menschlicher Barbarei.
Der vom Krieg ausgelöste Schock ist so groß, weil sich die Europäer(innen) in der moralischen Wolke des „Nie wieder“ eingelullt haben. Doch das letzte Dreivierteljahrhundert in Europa war eine Anomalie. Eine so lange Friedens- und Wohlstandsperiode (mit Ausnahme der Balkankriege) ist eine „historische Skurrilität“. Aber in Europa konnte man sich nichts anderes mehr vorstellen als Frieden. Für die jüngeren Generationen wurde selbstverständlich: Kriege sind Ereignisse aus finsteren, vergangenen Zeiten.
Doch Krieg ist normal. Die europäischen Mächte waren in den letzten Jahrhunderten beinahe dauernd irgendwo in Kriege verwickelt, in unterschiedlichen Größenordnungen und Konstellationen. Nur nach den Schlächtereien des Zweiten Weltkriegs und des totalitären Systems wuchs die Idee von der Unmöglichkeit solcher Gewalttaten. Doch das ist west- und mitteleuropäische Befindlichkeit. Weder die Natur des Menschen noch die Logik politischer Machtausübung ist ganz anders geworden. Statt der kleinen Scharmützel an der Peripherie erleben wir nunmehr einen größeren „Clash“. Er beendet die 30-Jahres-Periode nach dem Kalten Krieg. Sie erweist sich als Übergangszeit, nicht als Neuanfang.
Eine Situation des Ab- und Aufstiegs hegemonialer Mächte gilt immer als konfliktträchtig. Die politisch verfallenden USA haben die westliche Reputation beschädigt. Russland ist ressentimentgeladen, Putin will das Imperium wiedererrichten. China hält noch ruhig, es baut sich erst strategisch auf. Europa ist machtpolitisch belanglos, die Araber, Russen und Chinesen halten es für dekadent. Wenn diese Krise nicht aufrüttelt zu belastbarer Stärke und Einheit, dann haben sie recht. Vielleicht trägt manche Entscheidungsfähigkeit über den Tag hinaus.
Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz.
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