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Um Licht ins „finstere Mittelalter“ zu bringen

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Wenn das billige Schlagwort vom „finsteren Mittelalter“ eines Tages vielleicht ganz der Vergangenheit angehören wird, dann werden wohl neben den Historikern jene Wissenschafter den größten Anteil daran haben, die erst die Voraussetzungen für ein systematisches Quellenstudium dieser Zeit schaffen: die Handschriftenforscher.

In österreichischen Bibliotheken liegen wahre Schätze an mittelalterlichen Handschriften, die zum TeiL weder gehoben noch in ihrem vollen Wert erkannt sind. Hofrat Otto Mazal, Direktor der Handschriftensammlung der österreichischen Nationalbibliothek und am Forschungsschwerpunkt „Handschriftenkunde und Buchgeschichte des Mittelalters“ des Forschungsförderungs-fonds führend beteiligt, weist in diesem Zusammenhang auf eine vor wenigen Jahren erst im Kloster St. Georgenberg bei Schwaz aufgefundene prachtvoll illuminierte vierbändige Bibel aus dem 12. Jahrhundert hin.

Zunächst geht es um die Erstellung neuer und umfassender Handschriftenkataloge, die über Herkunft, Geschieht, Inhalt und Ausstattung der Handschriften Auskunft geben sollen. „Wir wollen sehr viel Information bereitstellen“, betont Mazal. Nach modernsten Richtlinien werden gegenwärtig die Handschriften der Stiftsbibliotheken von Kremsmünster, Zwettl, Klosterneuburg, Salzburg/St. Peter, der österreichischen Nationalbibliothek und der Innsbrucker Universitätsbibliothek erfaßt.

Im Bundesland Salzburg wird unter Federführung von Univ.-Prof. Ingo Reiffenstein, Ordinarius für Germanistik an der Universität Salzburg, an der Erstellung von Katalogen deutscher mittelalterlicher

Handschriften gearbeitet und Grundlagenforschung zur Uberlieferung und Rezeption der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters betrieben.

Im Rahmen eines internationalen Forschungsplanes, der auf einen Ge-samt-Atlanten zur Geschichte der lateinischen Schrift abzielt, wird in einem dritten Teilprojekt eine spezielle Katalogisierung der datierten Handschriften in lateinischer Schrift bis 1600, die sich in österreichischen Bibliotheken befinden, vorgenommen. Die Bestände der österreichischen Nationalbibliothek wurden bereits in vier Bänden aufgearbeitet, auch über die Grazer Universitätsbibliothek liegt schon ein Band vor. Gegenwärtig konzentriert sich diese Arbeit auf weitere steirische und kleinere Wiener Bibliotheken.

Der Wiener Kunsthistoriker Univ.-Prof. Otto Pacht widmet sich mit seinem Team den illuminierten Handschriften und Inkunabeln der österreichischen Nationalbibliothek, soweit diese noch nicht in Julius Hermanns dreizehnbändigem Verzeichnis erfaßt sind. Hofrat Mazal hofft, daß nach Ablauf der vier Jahre dieses Forschungsschwerpunktes sämtliche Handschriften der italienischen, romanischen, gotischen, französischen, niederländischen, flämischen und orientalischen Schulen total erfaßt und nur noch die deutschen, österreichischen und böhmischen Handschriften zu bearbeiten sein werden.

Bei diesen Forschungen spielt natürlich auch die gesamte Geistesgeschichte des Mittelalters - schon durch neue Erkenntnisse über Buchmalereiwerkstätten, Schriftschulen und Buchbinderwerkstätten - eine Rolle. Die vielzitierte „Sozialrelevanz“ kommt laut Mazal nicht zu kurz: „Unsere Arbeit ist sicher ein wichtiger Beitrag zur Pflege des Geschichtsbewußtseins und zur Erhellung der Geschichte und der Wissenschaft.“

So läßt die Erforschung von Bibliotheksbeständen nicht nur Schlüsse auf die Geisteshaltung der damaligen Besitzer zu - „wie man heute aus dem etwaigen Fehlen von Autoren wie Küng oder Schillebeeckx in der Bibliothek eines Priesterseminars entsprechende Schlüsse ziehen kann“ (Mazal) -, sie gibt auch Anhaltspunkte für die ökonomische und soziale Situation. Und liefert sogar praktische Hinweise: zum Beispiel könnte über die heute wieder so geschätzten Heilkräuter manches Interessante in mittelalterlichen Büchern stehen.

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