7209215-1992_24_09.jpg
Digital In Arbeit

VOM MAULTIERTREIBER ZUM ASTRONOMEN

Werbung
Werbung
Werbung

Der völlig respektlose, herrlich boshafte Chas Addams zeichnete den Astronomen, der sich die Brille putzt, bevor er durch ein riesiges Teleskop zu den Sternen aufblickt. (Im Münchner Schirmer/Mosel Verlag erschien eine Auswahl aus Addams' Cartoons, siehe unsere Besprechung auf Seite 14.) Addams brachte damit auf köstliche Weise das groteske Mißverhältnis zwischen Beobachter und Beobachtungsgerät auf den Punkt.

Linsenfernrohre waren 1949, als die Zeichnung entstand, freilich längst out. Moderne Großteleskope sind Spiegelteleskope, deren Bild am oberen Ende des Teleskops entsteht. Genau dort, 15 und mehr Meter über dem Boden der Sternwartekuppel, befindet sich der Beobachtungskäfig - ein äußerst enger und unbequemer Aufenthaltsort.

Maarten Schmidt, der 1963 im Alter von 32 Jahren als erster erkannte, daß es sich bei den Quasaren um Milliarden Lichtjahre von unserer Milchstraße entfernte Objekte handelt, hielt sich bei der nächtelangen Suche nach neuen Arten von Quasaren mit Musik von Bach und Telemann aufrecht. Körperliche Fitneß brauchten Beobachter damals allemal.

Die großen Sternwarten befinden sich im Hochgebirge, wo die Nächte bitter kalt sind. Eine Sternwartekuppel kann nicht vor Kälte geschützt und nicht beheizt werden. Glas würde kostbares Licht schlucken, warme Luft Unruhe erzeugen. Da jede Luftströmung das Bild verzerrt, wird der Beobachtungsspalt schon am frühen Nachmittag geöffnet, um den Temperaturausgleich herzustellen.

Scherze mit Einstein

Harvard-Studenten beschrieben in einem Gedicht, was einst den Beobachtererwartete: „Das Knie geknickt, der Hals verrenkt, der Rücken krumm, der Kopf geschwenkt, ein Auge kneift, das andre quillt, bis einer als der Rechte gilt."

In den zwanziger Jahren erschien auf dem Mount Wilson, wo damals die größten Teleskope standen, ein Arbeitsuchender namens Milton Humason. Er hatte mit 14 Jahren die Schule verlassen und wurde als Maultiertreiber und Gehilfe in der Kantine beschäftigt. Er fiel den Astronomen auf, weil er unablässig Fragen stellte, eines Tages machten sie ihn zum Nachtassistenten an einem der kleineren Teleskope. Er ergatterte kleine Routinearbeiten, schließlich erprobte ihn der große Hubble am damals größten Gerät mit zweieinhalb Metern Durchmesser und ab 1928 überließ er ihm die Nachtarbeit fast ganz.

Humason stemmte sich, wenn die Mechanik bockte, bis zur Erschöpfung gegen das Gerät, fotografierte als erster Astronom mit Lichtstärke 0,6 und machte mit Einstein Spaße. 1934 gelang ihm die Aufnahme, die Hubble seit langem für möglich erklärt hatte und auf der genauso viele ferne Galaxien zu sehen sind wie „Vordergrund-Sterne", die unserer Milchstraße angehören.

Heute übernimmt die Elektronik das einst so anstrengende Korrigieren der Mechanik, die das Teleskop der Himmelsbewegung nachführt, wobei der Leitstern keine Sekunde aus dem Auge gelassen werden durfte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung