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Zwischen Planeten und Gedrängtsein

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DIE NACHTWANDLER. Das Bild des Universums im Wandel der Zeit. Von Arthur Koestler. Übertragung aus dem Englischen von Wilhelm Michael Treichlinger. Alfred-Scherz-Verlag, Bern 1959. 580 Seiten.

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DIE NACHTWANDLER. Das Bild des Universums im Wandel der Zeit. Von Arthur Koestler. Übertragung aus dem Englischen von Wilhelm Michael Treichlinger. Alfred-Scherz-Verlag, Bern 1959. 580 Seiten.

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„Nachtwandler“ nennt Arthur Koestler die schöpferischen Menschen, die zwischen Planen und Gedrängtsein ihren Forschungen naebgeben, etwas Bestimmtes suchen und etwas viel Bedeutenderes finden — solches aber nicht erkennen im Ausmaß, das es für die folgenden schöpferischen Geister hat: Das Nebenprodukt des einen wird zum „springenden Punkt“ für die Nachfahren: Wir leben ein gemeinsames und ganzes Leben des Geistes in der Menschheit. Koestler zeigt diesen Prozeß am Beispiel der „Naturwissenschaft“, genauer an den Erforschern von Zeit, Raum und Weltall: die vorchristlichen, die augustinbeeinflußten und die scholastischen Weltvorstellungen, sodann Kopernikus, Kepler und Tycho de Brahe, Galilei und endlich Newtons Synthese. Nun leben die Naturwissenschaften nicht isoliert von Geisteswissenschaft und Religion und dem konfessionellen und politischen Leben; die Akzente zwischen Natur- und Geisteswissenschaften wechseln wie die Betonung von „Geist“ und „Natur“ in den verschiedenen Weltzeiten der Menschheitsgeschichte. Zur Spannung gehören immer beide Menschheitselemente; nur ihr Vorherrschen wechselt.

Koestler hat also dreierlei in seinem Werk dargestellt: die Geschichte der astronomischen Vorstellungen; die nachtwandlerische Art, in der sich eine Wissenschaft entwickelt; die Neben-, Unter- und Über- einfliisse, denen der nichtlineare, geradlinig unmögliche Weg des menschlichen Geistes, unterworfen ist. Als solches ist Koestiers Werk ein echter Beitrag zur Geisteswissenschaft, die ja den „Wegen des menschlichen Geistes“ nachzuspüren hat. Ist dieses Fazit nicht ein Trost für uns, wenn Koestler schreibt (S. 530):

Das Kennzeichen, daß ein bestimmter Zweig der Wissenschaft oder der Kunst reif zu einem Umschwung ist, offenbart sich in einem Gefühl enttäuschter Erwartungen, einem Unbehagen, das nicht notwendigerweise durch eine akute Krise in dem betreffenden Wissenszweig hervorgerufen sein muß, eher durch das Bewußtsein einer Entfremdung von der lebenden Wirklichkeit, das die überlieferten Kriterien des Erfolges schal und sinnlos erscheinen läßt. Das ist der Punkt, an dem die Hybris des Spezialisten der philosophisch schmerzlichen Analyse seiner Axiome weicht; anders gesagt, dem Auftauchen des Dogmas. Diese Situation gibt dem Genie Gelegenheit zu seinem schöpferischen Sprung unter die zerbrochene Eisdecke.“

Die reinen „Mystiker“ und die reinen „Gelehrten“ sollten sich diesen Spiegel Vorhalten, um zu bedenken, wie sehr sie beide voneinander abhängen — wir alle sind bestenfalls „Nachtwandler“.

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