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Der Yogi und der Kommissar

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Auseinandersetzungen von Arthur Koesller, Bechtle-Verlag, Eßlingen. 452 Seiten

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Auseinandersetzungen von Arthur Koesller, Bechtle-Verlag, Eßlingen. 452 Seiten

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Unter diesem vielversprechenden Titel veröffentlicht Arthur Koestler, dessen „Sonnenfinsternis“ als ein literarisches und politisches Ereignis ersten Ranges in Erinnerung ist, eine Auswahl von Aufsätzen und Essays, geschrieben in dem ruhelosen Jahrzehnt zwischen 1940 und 1950. Yogi und Kommissar, Meditation und Brachialgewalt, Bemühungen, die Welt von innen zu erneuern, und Versuche, ihr von außen ein neues Gesicht zu prägen: zwischen diesen Polen pendelt die Geschichte, beide Extreme schwingen — meist herabgeschraubt auf mittlere Wellenlänge — in jedem Menschen. Yogi und Kommissar, die beiden Randfiguren der menschlichen Gesellschaft, bleiben auch am Rande des vorliegenden Sammelbandes. Sie behüten Eingang und Ausgang; sie geben dem Verfasser Gelegenheit, den Ansatz zu einer Geschichtsphilosophie zu wagen. Die große Dialektik — hie Yogi und hie Kommissar — bietet aber vor allem Raum für viele ihrer kleineren Schwestern. Der vor marxistischen Kathedern geschulte Verfasser hat seine Freude an ihnen und zeigt seine Meisterschaft im Gedankenspiel von These und Antithese: „Schmiedehammer“ und „Nagelfeile“ finden sich deswegen unter seinen Arbeitsinstrumenten, wuchtige Anklageschriften und fein ziselierte literarische Arbeiten birgt das Buch, Antifaschismus und Antikommunismus heißen die beiden Stoßkeile. Aber gleichgültig, ob Koestler gerade über den jungen englischen Flieger Richard Hillary sinniert oder ob er zur Erforschung der „Anatomie eines Mythos“ den Kommunismus unter das Messer nimmt: was er sagt ist immer gescheit und geistreich, stets wirkt es wie eine Attraktion, wie eine besondere Galanummer von Geistesakrobatik. Man bestaunt den Seiltänzer, man bangt um sein Leben, man klatscht Beifall. Kein Zuseher aber ist versucht, aus purer Begeisterung ihm aufs Seil nachzufolgen. Woher dieser Rest, dieser letzte Abstand?

Arthur Koestler hat die Laterne genommen, um Ausschau nach dem Menschen zu halten, der vom Yogi genau so fern ist wie vom Kommissar und von dem er sich, mit Recht, viel verspricht. Der „heimatlose Linke“ — Koestlers Selbstcharakteristik — weiß, irgend etwas stimmt nicht im Weltbild des modernen Menschen, in der Welt- und Menschenbetrach-tung des Sozialisten. Er beklagt die „verlorne Hälfte“, er spricht sogar aus, daß „neunzig Prozent von dem, was den wirkliehen Homo sapiens ausmacht', aus dieser Perspektive nicht gesehen wurden und daß ohne geistige Wiedergeburt die sozialistische Bewegung auf dem Wege bürokratischer Verknöcherung bis zum bitteren Ende gehen wird“. Welches sind die Konsequenzen dieser Erkenntnis? Koestler empfiehlt eine aus dem Osten übernommene und in unseren Geist übersetzte Kontemplation. Sie soll in den Schulen .neben Wissenschaft und Leibesübungen — und anstatt der religiösen Dogmen' gelehrt werden. „Die Fackel des Glaubens' ist für Koestler erloschen, deshalb schreibt er in dem „Kerzenlicht der Wahrheit“. Ob es sturmsicher ist?

Helena. By Evelyn Waugh. Chapman & Hall, London. 265 Seiten.

Es gibt allzu viele Autoren, die glauben, Geschichte zu schreiben, wenn sie die Fundstücke eines historischen Skeletts willkürlich zusammensetzen, ergänzen und das so geformte Gerüst mit einem Gewebe ihrer Phantasie umhüllen. Mit „Historikern“ solcher Art, man könnte sie die Courths-Mahlers der Geschichtsschreibung nennen, hat Evelyn Waugh nichts gemein. Er behauptet nicht, daß das zwanzigjährige Studium, welches er seinem Thema widmete, neue, bisher unbekannte Tatsachen aus dem Leben der Mutter Konstantins des Großen und ihrer Zeit zutage gefördert habe) er will, daß sein Buch, die Frucht dieser Studien, als Roman gewertet werde und als nichts anderes. Damit hat er sich das Recht auf poetische Lizenzen erworben, die zwar mancher althergebrachten Vorstellung oder Legende widersprechen, aber das wenige, was wir von der heiligen Helena mit Sicherheit wissen, in eine neue, ungemein anziehend und lebendig wirkende Umrahmung stellen. Wie früher auf dem Gebiet der Satire, so bewährt sich Waugh auch hier in dem ihm neuen Bereich des ernsten historischen Romans, als Meister der Exposition wie des knappen und dabei doch so bildhaften Ausdrucks. Sein Buch zu lesen ist ein wahrer Genuß, und es ist zu hoffen, daß bald auch eine deutsche Ubersetzung vorliegen möge; aber in einer Form, die der erlesenen Sprache des Originals würdig ist.

Marco Polo. Roman zweier Welten. Von Egmont Colerus. Paul-Zsolnay-Bücher im Erasmus-Verlag. 542 Seiten (Neuauflage).

Was für ein großes eigenständiges Thema, denkt der Leser, der das Buch zur Hand nimmt. Da wird einmal nicht ein hundertfach umgepflügtes Feld zum hundertsten Male wieder beackert: Weder Mozart noch Schubert noch Kaiser Joseph ... Und man hofft und wartet darauf, diesen guten Eindruck bestätigt zu finden. Aber es geht einem wie beim Betrachten der figurenreichen und weitflächigen Historienbilder aus den Tagen unserer Großeltern. Man sieht eine Fülle exotischer oder romantischer Einzelheiten, geradezu gegeben, den Beschatter hinzureißen, aber das Bild bleibt kühl, trocken, ohne inneren Schwung. Die Feder (dort der Pinsel) fördert nicht, er mindert die Illusion Sie spart nicht, im Gegenteil — sie verschwendet Farben, aber diese Farben wirken überlaut und vor allem zu wenig echt. Hinter der großen Geste steht nicht eine ebenso große dichterische Kraft. Phantastische Einzelheiten ergeben summiert noch nicht Phantasie. Man vergleiche etwa die Unterredung zwischen Dante und Marco Polo mit den in ihrer schlichten Anschaulichkeit starken, plastischen und lebenswahren Einstreuungen aus Marco Polos eigenem Tagebuch und man hat vor sich den Unterschied zwischen Erlebtem und Erdachtem, eben jenen Unterschied, den ein historischer Roman nicht deutlich werden lassen sollte.

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