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Psychologie der Bekehrten

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Der Journalist Arthur Koestler, einer der wirksamsten Publizisten der antikommunistischen Propaganda, hat selbst in „The God that failed“ seine Bekehrung vom Kommunismus zu westlichen demokratischen Anschauungen geschildert. „Der Monat“, Heft 20, bringt eine deutsche Übersetzung unter dem Titel „Verlorene Illusionen“ (wohl nach Balzacs gleichnamigem Roman),

Koestler, der Sohn ungarischer, erst 1919 nach Wien Übersiedeiter Eltern, erzählt selbst, wie er als Sechsundzwanzig-jähriger zur Kommunistischen Partei fand. Der Vater, der im wirtschaftlichen Zwielicht der ersten Jahre nach dem Weltkriege trotz vieler (oder gerade wegen vieler?) geschäftlicher Unternehmungen keine gesicherte bürgerliche Existenz mehr finden konnte, verlor anfangs der zwanziger Jahre die letzten Reste seines Vermögens. Nach Koestlers eigenen Worten hat ihn die wirtschaftliche und soziale Entwurzelung des Bürgerstandes zum Kommunisten gemacht, wie andere zu Nationalsozialisten. Der Zugang zu diesen wäre Koestler durch seine rassische Zugehörigkeit versperrt gewesen, sonst hätte der unbefriedigte, durch keine Tradition gebundene, aktivistische Journalist, der nicht an Minderwertigkeitskomplexen litt, vielleicht sogar den Weg zu der Nationalsozialistischen statt zur Kommunistischen Partei gesucht. Nicht sehr imponierend ist die Tätigkeit Koestlers im Ullstein-Verlag in Berlin, wo er eine große Stellung bekleidete und als außenpolitischer Redakteur der in seinem Verlag erscheinenden „B. Z. am Mittag“ über Kenntnis vertraulicher Nachrichten verfügte, die er im Nachrichtendienst der Berliner Kommunistischen Partei an diese weitergab. Der liberale Verlag hat sich dann in sehr nobler Weise, wie Koestler anerkennt, von seinem ungetreuen Mitarbeiter getrennt, der in der heillosen moralischen Verwirrung der beginnenden dreißiger Jahre gar nichts daran fand, das Unternehmen, das ihm ein schönes Gehalt zahlte, zu hintergehen. Im „Nachrichtendienst“ einer politischen Partei zu arbeiten und seine Pflichten als Beamter zu verletzen, war damals eine weitverbreitete Selbstverständlichkeit.

Es besteht absolut kein Grund, an der subjektiven Aufrichtigkeit Koestlers zu zweifeln, wenn er seine innere Loslösung von der Kommunistischen Partei anläßlich eines Aufenthaltes in Rußland und dann während der Emigration in Frankreich schildert. Am Ende seiner Bekenntnisse vergleicht sich Koestler mit Jakob, dem in der Brautnacht die häßliche Lea statt der begehrten schönen Rahel unterschoben wurde. Er fragt „ob er (Jakob-Arthur) wohl je den Schock überwunden hat, mit einer Illusion geschlafen zu haben“, und er gibt der Hoffnung Ausdruck, daß sich „das fröhliche Ende der Legende“ wiederholen werde, nachdem Jakob nach sieben Jahren Arbeit doch seine schöne Rahel (lies Amerika) gewann und „die Illusion Wirklichkeit wurde“. „Und die sieben Jahre schienen ihm wie ein Tag, angesichts der Liebe, die er für sie empfand.“

An der Liebe Koestlers zu der westlichen, „schönen“ Rahel wollen wir wieder nicht zweifeln, ebensowenig an seinem „Schock“ gegenüber der „häßlichen“ östlichen Lea, wenn man auch dazu sagen kann, daß weder der etwas unbescheidene Vergleich mit dem Jakob der biblischen „Legende“ noch die Beschmutzung des ehemaligen Idols sehr geschmackvoll ist, noch die Liebeserklärung an Amerika noch der Vergleich eines geistigen Erlebens mit einem Beilager. Aber das psychologisch Interessante, das wir auch bei anderen Apostaten unserer an Abfall und Bekehrung so reichen Zeit erleben oder erlebt haben, wie etwa bei Alfred Rosenberg, ist das Phänomen, daß zwar das politische Glaubensbekenntnis gewechselt wird, hinter dem neuen „weltanschaulichen“ Gewand die alte geistige Haltung bewahrt bleibt. Das ist im Falle Koestler leicht zu beweisen.

Der in Meran erscheinende „Standpunkt“ vom 8. Dezember 1950 bringt unter der Anpreisung „aus dem geistig faszinierenden Essayband: Der Yogi und der Kommissar“ einen Abschnitt unter dem Titel: „Die Intelligenz als Gesellschaftsschicht.“ In historisch höchst anfechtbarer Weise werden hier Intelligenz-schicht und Bürgertum zusammengeworfen. Die „Intelligenz“ ist trotz aller Lexikonzitate Koestlers niemals eine „Schicht“ im soziologischen Sinne gewesen.

über das geschichtliche Bürgertum hat Koestler geradezu naive Anschauungen, und er ist gleichzeitig von jeder tieferen Erkenntnis des Funktionierens der verschiedenen Gesellschaftsordnungen in der Vergangenheit entfernt, wenn er den lapidaren, simplifizierten Satz schreibt: „Das junge Bürgertum, das von der verdummenden feudalen Struktur eingeengt war, mußte seinen geschichtlichen Lebens-Taum erobern, und diese Eroberung war nur dadurch möglich, daß die feudalen Totems und Tabus mit dem Dynamit des selbständigen Denkens gesprengt wurden. Die ersten modernen Intellektuellen waren die Enzyklopädisten; sie betreten die Bühne der Geschichte als die großen Entlarver und Bilderstürmer — Goethe war der letzte Renaissancegenius, ein unmittelbarer Nachkomme des Leonardo, und seine Einstellung zur Gesellschaft war die eines Höflings bei einem aufgeklärten florentinischen Fürsten, wogegen mit Voltaire die große Entlarvung der feudalen Werte beginnt.“

Lassen wir die billigen Ausführungen über Goethe unbeachtet. Aber die Begleitmusik der Worte und Bilder, deren sich Koestler bedient, verdienen eine Analyse: verdummende feudale Struktur (zu fragen wäre Gesellschaftsoder Denkstruktur, und warum verdummend? Wie haben wir es so herrlich weit gebracht!), Eroberung desLeben s-raumes (Haushofer und Hitler könnten auf das Weiterleben ihrer Terminologie stolz sein), Sprengung der feudalen Totems und Tabus (dazu gehören wohl auch die aus Antike und Christentum überkommenen universalen abendländischen Kulturwerte?), Dynamit selbständigen Denkens, Entlarver und Bilderstürmer. Primitivster, abgestandener Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts nimmt die Denkinhalte und Ausdruckswerte des nihilistischen Revolutionärs von rechts oder links an. Im Bereich der Zerstörungswut fallen die Unterschiede zwischen rechts und links. Ubereifrige Revolutionäre von 1792 haben gotischen Statuen von biblischen Königen und von Heiligen in der Notre-Dame-Kirche von Paris und anderwärts die Köpfe abgeschlagen, Schlösser geplündert und angezündet, ohne nach dem künstlerischen Wert zu fragen, historische Dokumente als Denkmäler der „feudalen Knechtschaft“ verbrannt, die Guillotine stand in Hochbetrieb, um die letzten Reste der so schrecklichen feudalen Zeit zu beseitigen. Die französische Enzyklopädie mit dem „Entlarver und Bilderstürmer“ Voltaire ist die Wegbereiterin der Schreckensherrschaft gewesen. Die religiösen Bilderstürmer des 16. Jahrhunderts haben in ihrem blinden Fanatismus erhabenste Kunstwerke nicht geschont. Das Wort „entlarven“ hat seit den verschiedenen Schauprozessen der letzten Jahrzehnte keinen guten Klang erhalten. An Bombenwürfe während der beiden letzten Jahrzehnte in Krieg und Frieden erinnern sich die Europäer weniger gern, um noch von „Dynamit“ und „Sprengungen“ zu schwärmen.

Mit der vielleicht unbewußten oder nicht gewollten Verherrlichung der zerstörenden Bilderstürmer, Jakobiner, Entlarver und Bombenwerfer aller Art deckt Koestler seine geistige Herkunft auf und damit seinen traditionslosen Nihilismus. Der Stil wird zum Verräter.

Koestler- bezeichnet schlicht und großartig den Feudalismus als „verdummend“. Wie töricht von der Geschichtswissenschaft, seit Generationen sich um die Erfassung des Feudalismus zu bemühen! Ohne ihn als Ideal oder etwa gar als wiederholbares Vorbild hinstellen zu wollen, begreift heute die Wissenschaft den Feudalismus als zeitgebundene und wirtsdiaftlich bestimmte gesellschaftliche Einrichtung einer weit zurückliegenden Periode der staatlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Er hat zu seiner Zeit recht und schlecht, wie jede soziale Ordnung, den Zweck des Schutzes des Individuums erfüllt, bevor der Staat dies tun konnte. Weltenweit ist Koestler entfernt von der Anschauung und Betrachtungsweise Rankes, die heute Toynbee wieder erneuert hat, daß jede Zeit ihre Aufgaben zu erfüllen habe und es auf ihre Art tue, ohne daß Spätere sich zu verurteilenden Richtern aufwerfen dürften.

Die von Koestler nicht näher bezeichneten, aber so abfällig beurteilten Totems und Tabus sind große Ordnungsmächte in der Vergangenheit gewesen, deren allmählicher Wegfall für unsere Generationen den Höllenweg in das Chaos freigemacht hat. Keine Bindung dulden, nichts anerkennen, nichts verstehend verehren, ist eine geistig-moralische Haltung, die dem geschichtlich denkenden, kultivierten Europäer nicht angemessen erscheint. Ausdrücke, wie „bilder-stürmen“, „mit Dynamit sprengen“, „entlarven“ schlagen 6einem Kulturbewußtsein gleichsam ins Gesicht. Wir bedauern als Verarmung den Verlust oder die Mißhandlung von Kulturdenkmälern und Kunstwerken, welche den „Bilderstürmern“ der verschiedenen Zeiten zum Opfer gefallen sind, den religiösen des 16. Jahrhunderts, den politisch-revolutionären des 18. und 19., den Sozialrevolutionären oder kriegerischen des 20. In Revolution und Krieg gemordete Kathedralen und Wohnhäuser, geschändete Statuen und Bilder (es gab nebenbei bemerkt auch nationalsozialistische Bilderstürmer, zum Beispiel im erzbischöflichen Palais in Wien 1938) erschüttern uns als Zeugen menschlicher Unvernunft und blinden Zerstörungswillens. Aber vielleicht nicht jedem Leser Koestlers wird mit gleicher Eindringlichkeit bewußt, daß man auch geistige Werte, auch Geschichte, durch Unverstand morden und schänden kann. Für Iwan Karamasow war das alte Europa wenigstens noch ein g e 1 i e b t er Friedhof. Arthur Koestler haßt es, für ihn ist es nicht einmal ein geliebter Friedhof, er hat es „überwunden“ — weil er es zu wenig kennt und versteht.

Arthur Koestler hilft jenen Menschentyp vorbereiten, der von der Vergangenheit gelöst ist, der ohne Träne, ohne Bedauern ein Denkmal des Feudalismus, eine Kathedrale oder eine Vierge d'oree,in Schutt und Trümmer gelegt sehen kann. Für ein amerikanisches Ohr ist vielleicht manche Formulierung Koestlers weniger verletzend als für das eines auf seine Tradition stolzen Europäers, für den die Vergangenheit noch nicht erstorben ist.

Quod erat demonstrandum: allein in seinem Stil verrät der Schriftsteller Arthur Koestler, daß seine geistige Hallung 1950 im Dienste eines anderen Partners dieselbe ist wie 1931. Bekehrung? Wo bleibt der sieghafte Strahl des neuen Gottes, der Paulus auf dem Wege nach Damaskus traf und in seiner Seele den alten Saulus ausbrannte?

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