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Der Rechtsstaat als Fassade

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Solange Norbert Burger frei und unbehindert umherreisen und jedem, der es hören will, erklären darf, er sei der Drahtzieher, der hinter dem Terrorismus in Südtirol steht; solange er unter den Augen der Staatspolizei, von dieser mehr beschützt als beschattet, neue Anschläge planen kann; solange ist die Behauptung, Österreich sei ein Rechtsstaat, ein leeres Gerede, eine unglaubwürdige Phrase, weit ent- Eernt von den Realitäten.

Fast keine Sonntagsrede eines Politikers endet ohne flammendes Bekenntnis zum Rechtsstaat, es gibt kaum eine Erklärung eines Regierungsmitglieds, in der nicht die Politik fein säuberlich in die „Grundsätze des Rechtsstaates“ verpackt wäre: das alles ist durchaus lobenswert. Nicht mehr zu tolerieren ist diese rechtsstaatliche Welle jedoch dann, wenn der Verdacht immer dringender wird, daß hinter den lautstarken Beschwörungen des Rechtsstaates sehr konkrete Politik getrieben wird, und zwar Politik nicht nur außerhalb, sondern geradezu gegen rechtsstaatliche Grundsätze. Der Rechtsstaat als Paravent für sine mehr als zweifelhafte Politik — so präsentiert sich die österreichische Wirklichkeit, betrachtet man sie aus der Perspektive der causa Burger.

Das Legalitätsprinzip

Jeder Student der Jurisprudenz lernt im zweiten Abschnitt seines Studiums, daß es im österreichischen Strafverfahren so etwas wie ein Legalitätsprinzip gibt, das die Anklagebehörden zwingt, Gesetzesverletzungen zu untersuchen. Das ist keine Kann-, sondern eine Muß- Bestimmung. Was soll man sich aber denken, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Verhaftung im Fall Burger ohne Zweifel im Übermaß gegeben sind, wenn das Legalitätsprinzip die Staatsanwaltschaften zum Eingreifen zwingt — und Burger sich dennoch weiterhin einer ungehinderten Bewegungsfreiheit erfreut, wenn er (wie am FPÖ- Bundesparteitag in Klagenfurt be sonders deutlich zu sehen war) in der österreichischen Innenpolitik weiterhin eine wichtige Rolle spielen kann, wenn er Interviews gibt, in denen er eine verstärkte „Aktivität“ in Südtirol ankündigt? In Freiheit und Ruhe kann sich Burger auf den Prozeß vor dem Geschworenengericht in Linz vorbereiten; von der Staatsanwälte Gnaden, entgegen den Grundsätzen des Rechtsstaates.

Die Behörden sind weisungsgebunden ...

Die Anklagenbehörden sind dem Bundesminister für Justiz gegenüber weisungsgebunden. Für Burgers Freiheit ist somit letztlich der Bundesminister verantwortlich. Wie kann es dieser verantworten, daß noch immer keine Weisung an die Staatsanwaltschaften erteilt wurde, gegen Burger einzuschreiten, und zwar mit der ganzen Strenge vorzugehen, die das Gesetz nicht nur zu läßt, sondern fordert? Wie kann der Justizminister diese unbegreifliche Nachlässigkeit der ihm unterstellten Behörden begründen?

Niemand wird dem Bundesminister für Justiz Sympathien für Burger nachsagen wollen. Ein tieferer Grund für die verhängnisvolle Nicht- Aktivität im Fall Burger dürfte etwas mit dem unglückseligen Schlagwort der „Entpolitisierung“ zu tun haben, das durch die Reihen der Regierungspartei geistert. Wenn ein strafbarer Tatbestand sich mit dem Schild „politische Motive“ etikettieren läßt, dann fährt man damit in Österreich gut. Daß in solchen Fällen ein Nicht-Handeln der Behörden mit dem schon fast zu Tode zitierten „Rechtsstaat“ nicht in Einklang zu bringen ist, vor solcher Erkenntnis schreckt man zurück. Der Herr Bundesminister möge handeln, im Interesse Österreichs, im .Interesse der Demokratie!

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