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Der Boden des Rechtsstaates

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Der Verfasser dieser Zeilen lehnt jede Polemik ab. Ein „offenes Wort“ tut jedoch not. Die Ausgabe der „Furche“ vom 11. November 1966 bringt unter dem Titel „Der Rechtsstaat als Fassade“ eine Auslassung, die sich in ihrem Wesen gegen Doktor N. Burger, gegen den Universitätsprofessor Dr. H. Klecatsky als Justizminister und gegen den leichtfertigen Gebrauch des Wortes Rechtsstaat richtet. Doktor Burger wird vorgewörfem, daß er... (die vom Autor gebrauchte Formulierung darf laut Beschluß des Strafbezirksge- rfchtes Wien nicht veröffentlicht werden; die Redaktion), daß er neue Anschläge planen dürfe, daß sich Burger in Freiheit und Ruhe auf den Prozeß vor einem Geschworenengericht vorbereiten und sich Universitätsassistent nennen dürfe. Dem Justizminister wird vorgeworfen, er erteile dem Staatsanwalt unter dem Schlagwort der „Entpolitisierung der Justiz“ keine Weisungen, um Doktor Burger in Haft zu setzen. Jenen, die das Wort Rechtsstaat in den politischen Tagesdiskussionen verwenden, wird der Vorwurf gemacht, daß sie dieses Wort zur Fassade degradieren.

Es geht um das Prinzip

Dem Vorwurf, daß man das Wort Rechtsstaat zur Fassade degradiert, kann zugestimmt werden. Dies aber nicht aus jenen Gründen, die in der „Furche“ in bezug auf das Verhalten des Justizressorts zu Dr. Burger vorgebracht wurden. Nichts ist schlag- worthafter geworden als dieses Wort, seit es seine Breitenwirkung gefunden hat, und jedermann glaubt, recht zu haben, und meint, selbst der Rechtsstaat zu sein, mit seinen Egoismen und seinen partikulären Wünschen. Einen solchen Rechtsstaat, der alsbald anarchische Züge annehmen müßte, gibt es nicht. Der Begriff umfaßt ein Bündel von Vorstellungen, geprägt in der westlichen Welt; sie konzentrieren sich in Österreich auf das Handeln entsprechend den Gesetzen. Daß man in Österreich den Gesetzen als Ausdruck einer wohlgestalteten Abgewogenheit von Allgemeininteresse und Individualinteresse trauen darf, sollte füglich angenommen werden. In ganz besonderem Maße muß dies für die Garantie der persönlichen Freiheit vor „willkürlicher Verhaftung“ gelten. Es ist in Österreich nicht so, daß man verhaften darf, weil man bestimmte Meinungen über eine Person hat. Es müssen für die Verhaftung jene Gründe vorliegen, die im Verfassungsgesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit (1862), in den von diesem Gesetz gedeckten Gesetzen — insbesondere der Strafprozeßordnung — sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (Art. 5) ausdrücklich und taxativ aufgezählt sind. Die Verhaftung einer Person, weil sie herumreist, den Amtstitel Universitätsassistent führt, sich auf einen Prozeß vorbereitet und Erklärungen abgibt, deren Wahrheitsgehalt von niemandem bestätigt wurde, einer Person, die eine Meinung geäußert hat, die innerhalb der Schranken der österreichischen Gesetze liegt und deren Beschränkung von der Rechtsordnung nicht für „unentbehrlich“ erachtet wird, die Verhaftung einer Person, weil sie Prinzipien verletzte — dies sieht die österreichische Rechtsordnung nicht vor. Ohne die Meinungen oder das Verhalten Burgers teilen zu können, geht es hier um das Prinzip; um ein Prinzip, das ebenso bei der Friedlosstellung Otto Habsburgs durch Presse und Parteien zur Diskussion steht; eine Person, weil sie sich unbeliebt gemacht zu haben scheint, eine Person, „weil man sie nicht mag“, eine Person, von der vermutet wird, sie könnte die Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden, dingfest zu halten. Die Organe der Polizeiverwaltung hätten zu prüfen, ob Burger mit den Äußerungen, die er gemacht haben soll, nicht öffentliches Ärgernis im Sinne des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen erregte — aber dieses Gesetz bietet nicht Grund für eine Präventivhaft, sondern nur Grund für eine Verwaltungsstrafe, nach gehörigem Verwaltungsverfahren.

Der Vorwurf an den Justizminister bedeutet daher nichts mehr und nichts weniger, als daß m za eine

Verhaftung anweisen solle, die in den Gesetzen keinen Grund findet oder für die er unzuständig wäre. Ich sage nicht, daß es etwa nicht Gründe im landläufigen Sinne des Wortes gäbe, Burger „sicherzustellen“, aber ob Gründe im Sinne des Rechtsstaates, das ist im Sinne der

Gesetze, vorliegen, darüber bestehen Zweifel. Im Zweifel für die Freiheit der Person. Man kann dem Justizminister nicht vorwerfen, er verberge sich hinter einer rechtsstaatlichen Fassade. Dies hat er nicht notwendig: er steht wohl gedeckt hinter den Rechtsvorschriften.

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