"Leinen los!“ für neue Parteien

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Zwischen Ernst & Entertainment: Österreichs Parteienlandschaft wird bunter. Nicht alle Neo-Parteien haben Potenzial - geschweige denn ein Programm.

Mir ist der Geduldsfaden mit den österreichischen Piraten gerissen“, ärgert sich Michel Reimon. Wer wenige Tage nach der ersten Bundesversammlung der jungen Partei im Internet schmökert, Twitter-Kommentare und Facebook-Postings liest, merkt: Grün-Politiker Reimon ist mit seiner Analyse nicht allein. Viele, die anfangs Sympathie für die Piraten hegten, auf frischen Wind in der politischen Reformenflaute hofften, sind ernüchtet. "Die Piraten in Österreich sind postdemokratisch. Sie haben keine echten Inhalte, sondern springen auf einen Zug auf, der aus Deutschland kommt“, meint Reimon.

Beutezug um Protestwähler

Der fährt dort mit atemberaubender Geschwindigkeit: Die Partei hat es in die Landesparlamente von Berin und dem Saarland geschafft und nimmt den etablierten Parteien ordentlich Wind aus den Segeln. Ihre österreichischen Kollegen haben sich Ähnliches vorgenommen. Allerdings: Wofür sie stehen, ist auch nach der Versammlung am Sonntag niemandem so richtig klar. Ein Parteiprogramm gibt es bisher genauso wenig wie einen Vorsitzenden. Ein paar Eckpfeiler standen schon davor fest: ein Bekenntnis zu Transparenz, eine hohe Internet-Affinität und der Wille, Politik anders zu gestalten. Alleinstellungsmerkmal ist das noch keine. Deshalb haben die Piraten bei ihrem Beutezug um Protestwähler mit Konkurrenz zu kämpfen.

Drei junge Oberösterreicher haben gerade die Online Partei Österreichs (OPÖ) gegründet. Auch sie verzichten auf ein Programm. Ihr einziges Dogma: Die Mehrheit hat recht. Die OPÖ will alle politischen Fragen direkt vom Volk entscheiden lassen: per Online-Voting. Schon jetzt kann man auf www.opoe.at probehalber über die "Budgetvorsorge für den Europäischen Stabilitätsmechanismus“ oder "Entschädigung für Contergan-Opfer“ abstimmen.

Auch die Website www.stronachinstitut.at bietet Plattform - und Anlass - zur Diskussion: Der Web-Auftritt von Frank Stronachs "Institut für sozioökonomische Gerechtigkeit“ soll der erste Schritt zu einer "geistigen Revolution“ sein, die der austro-kanadische Manager fordert. Sein Interesse, dass die "Bewegung“, wie sie derzeit offiziell heißt, in eine Parteineugründung mündet, hat Stronach schon öfters artikuliert. Auch eine mögliche Fusion mit dem BZÖ geistert durch den politischen Äther.

Ebenfalls aus dem wirtschaftsliberalen Umfeld und noch ein wenig vager als das Stronach-Projekt formiert sich gerade der Verein "Österreich spricht“ (www.oespricht.at). Ein Kreis von Managern aus dem ÖVP-Umfeld und ehemaligen LiF-Funktionären will sich der Themen Transparenz, Bildung und Demokratiereform annehmen. Details zu einer möglichen neuen Partei, die "Phoenix“ heißen könnte, werden Mitte April verraten.

Warnung an etablierte Parteien

Mehr Transparenz und mehr direkte Demokratie - darüber scheinen sich alle neuen Bewegungen, aus welcher Ecke sie auch kommen, einig zu sein. Genau das könnten die Themen sein, die frustrierte Wahlverweigerer wieder an die Urnen locken: Zwischen 15 und 20 Prozent der Stimmen könnten die neuen Parteien bei der Nationalratswahl erreichen, schätzen Politikberater. Dass das selbst ohne richtiges Parteiprogramm möglich ist, kann getrost als Warnung an etablierte Parteien verstanden werden. Denn die Piraten muss man nicht ernst nehmen - ihre Wähler aber schon.

Auch Michel Reimon glaubt, dass die Piraten in Österreich Wahlerfolge einfahren können: "Mit Fruststimmen.“ Denn selbst bei einer Materie wie der Netzpolitik, wo man den Piraten die Themenführerschaft zutraut, ortet Reimon nur dünnes Fundament. "Bei den Grünen haben wir ein umfangreiches Papier zum Urheberrecht ausgearbeitet. Die Piraten haben nach sechs Jahren gerade einmal drei Sätze dazu formuliert. Das ist erschütternd.“

Trotzdem könnten die Piraten die Parlamente entern: Bei den Grazer Gemeinderatswahlen im Jänner 2013, wo sie erstmals antreten wollen, reichen 2.500 Stimmen für einen Sitz im Stadtparlament. Sollte ein Pirat einziehen, wird er dort einsam sein - wie Reimon als einziger Grüner im burgenländischen Landtag: "Ich arbeite eng mit der Bundespartei zusammen. Alleine ist es nicht zu managen, in allen Bereichen ein Experte zu sein.“ Der Pirat im Gemeinderat hätte weder eine starke Partei hinter noch ein Programm vor sich.

Überhaupt steht Reimon Parteigründungen skeptisch gegenüber: "Im jetzigen System werden sie nichts ändern.“ Auch er plädiert für mehr direkte Demokratie nach einer umfangreichen Verfassungsänderung. Der Druck dazu wird aber nicht von den neuen Parteien kommen. Sondern von den vielen Nichtwählern.

Piraten

In Österreich scheinen die Piraten ebenso unpolitisch wie die animierten 3D-Helden des aktuellen Kinofilms "Die Piraten - ein Haufen merkwürdiger Typen.“ (Siehe FURCHE 13/2012)

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