Mission Amerika - Endstation Dschungel

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Flüchtlinge, die in die USA wollen, müssen den 575.000 Quadratkilometer großen Darién-Urwald zwischen Kolumbien und Panama durchqueren. Dort warten Drogenhändler, Malaria und Gelbfieber. Die Zahl derer, die es trotzdem probieren, steigt stetig.

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Flüchtlinge, die in die USA wollen, müssen den 575.000 Quadratkilometer großen Darién-Urwald zwischen Kolumbien und Panama durchqueren. Dort warten Drogenhändler, Malaria und Gelbfieber. Die Zahl derer, die es trotzdem probieren, steigt stetig.

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Die Badehose fand keinen Platz mehr in der Sporttasche von Arjun. Nur das Notwendigste solle er einpacken, riet ihm sein kolumbianischer Schlepper. Hier am Postkartenstrand von Capurganá, in der nordwestlichsten Provinz Kolumbiens, wirkt der junge Inder wie ein Fremdkörper. In Boxershorts steht er im hüfthohen Meer, umgeben von Urlaubern mit Taucherbrille, Sonnenschirm und Luftmatratze. Während Arjun seine Geschichte erzählt, dröhnt Reggaeton aus den Lautsprecherboxen der Strandbar. Zwei Monate sind vergangen, seit er sein Heimatdorf im Punjab verlassen hat. Per Flugzeug machte er sich auf in die ecuadorianische Hauptstadt Quito. Von dort ging es per Bus, Viehtransporter und Anhalter weiter nach Kolumbien.

Gestrandet am Touristenstrand

"Ich genieße heute ein letztes Mal das Meer. Wer weiß, wann ich es wiedersehe", so Arjun. Wie viele andere, die in Carpurganá stranden, ist Arjun nicht zum Urlauben hier. Wo überarbeitete Wochenendtouristen aus Bogotá das türkisblaue Meer genießen, beginnt für Arjun und zwölf andere Männer -darunter Bengalen, Pakistanis, Eritreer und Kongolesen - der lebensgefährlichste Part einer mehrmonatigen Odyssee: Die Durchquerung des rund 575.000 Quadratkilometer großen Darién-Urwalds. Auf einer Strecke von rund 26.000 Kilometern, von Alaska bis Feuerland, verbindet die "Panamericana" Nord- mit Südamerika. Zwischen Barranquillita in Kolumbien und Yaviza, einer 4000-Seelen-Gemeinde in Panama, ist sie unterbrochen. Endstation: Dschungel. Wer versucht, die rund 100 Kilometer lange Lücke in der transkontinentalen Verbindungsstrecke per pedes zu überwinden, ist entweder ein lebensmüder Abenteurer oder ein Flüchtling.

Malaria, extreme Luftfeuchtigkeit, Schlangen, Paramilitärs und Drogenkartelle machen den "Darién Gap" seit jeher zu einer der unwirtlichsten Gegenden weltweit. "En el Darién no hay ley" - "Im Darién gibt es keine Gesetze", wurde Arjun von seinem Schlepper gewarnt.

Schon die Schotten mussten diese Lektion einst lernen. Ende des 17. Jahrhunderts gründete eine 1200 Mann starke Expedition im Darién die Kolonie "Caledonia". Schottland sollte sich als Welthandelsmacht etablieren. Die Unternehmung, die Ruhm und Reichtum hätte bringen sollen, wurde zu einem nationalen Desaster. Die klimatischen Verhältnisse wurden unterschätzt, zudem hatte die indigene Bevölkerung keinerlei Interesse an Handelsbeziehungen mit den Neuankömmlingen. Binnen der ersten acht Monate starben hunderte Schotten an Malaria, Gelbfieber und verdorbenen Lebensmitteln. Nur ein Viertel der Siedler überlebte die missglückte Expedition im heutigen Panama, die bereits nach zwei Jahren ein jähes Ende fand. Sie brachte Schottland nicht nur Häme, sondern auch nachhaltige wirtschaftliche Probleme ein.

Anders als die schottischen Siedler, die einst kamen um zu bleiben, ist die Motivation der heutigen Migranten in der Region eine andere. Bis ins Jahr 2015 waren es hauptsächlich Kubaner, die über Süd-und Zentralamerika versuchten, in die USA zu gelangen. Heute wählen auch tausende Asiaten und Afrikaner diese Route. Perser christlichen Glaubens, die im Iran religiöser Verfolgung ausgesetzt sind, homosexuelle Eritreer, die in ihrer Heimat mit dem Tod bedroht werden, Kongolesen, die vor dem Krieg fliehen, Inder, die in ihrem Land keine Perspektive sehen.

Schicksalstreffen in der Karibik

Menschen und Schicksale, die unterschiedlicher nicht sein könnten, treffen im kolumbianischen Karibikidyll aufeinander. Was sie eint: Die gemeinsame Mission, Nordamerika zu erreichen. "Ich habe alles gesehen. Hochschwangere Frauen, alte Männer in Sandalen, kleine Kinder. Man sieht ihnen hinterher, wenn sie frühmorgens aufbrechen und weiß: Viele werden nie in Panama ankommen", berichtet ein kolumbianischer Grenzsoldat. Seit sechs Monaten ist er in Capurganá stationiert. "Die Inder kommen meist mit Geld. Sie schlafen in Hotels. Die meisten afrikanischen Flüchtlinge haben aber nichts. Sie verbringen die Nächte auf dem Strand oder in Abbruchhäusern. Nach Dienstende bringe ich ihnen manchmal Essen und Wasser vorbei", erzählt er.

Arjun ist guter Dinge. Er präsentiert ein neues Paar Gummistiefel, das er gestern erstanden hat. "Man hat mir gesagt, dass es im Dschungel Schlangen gibt. Die Stiefel und Gott werden mich schützen." So mancher Flüchtling in Capurganá hat die Durchquerung des Darién schon einmal versucht. Einer von ihnen stammt aus Eritrea. Über den Südsudan, Uganda, Ruanda, Tansania, Brasilien, Peru und Ecuador kam er schließlich hierher, nach Kolumbien. Nachdem er auf panamaischen Territorium von der Grenzschutzbehörde "Senafront" entdeckt und festgenommen wurde, verbrachte er einige Tage in einem Versorgungslager, rund 250 Kilometer von Panama City entfernt. Dann wurde er zurück nach Kolumbien deportiert. "Der Dschungel ist eine Tortur. Moskitoschwärme lassen dich nicht schlafen, nach ein paar Stunden Fußmarsch sind deine Füße nass und voller Blasen. Vier Tage lang bist du körperlich und nervlich am Ende. Ich habe erwachsene Männer weinen sehen, weil sie einfach nicht mehr konnten. Zu essen gibt es täglich eine Schüssel Reis." Trotz aller Widrigkeiten möchte er es in zwei Tagen erneut versuchen.

Andere haben noch weniger Glück. Einheimische berichten von skrupellosen Schleppern, sogenannten "Coyotes", die den Migranten in den Tiefen des Dschungels ihr Hab und Gut rauben und sie alleine zurücklassen. Auch von Vergewaltigungen hört man. "Niemand weiß genau, wie viele in diesem Urwald schon ihr Leben ließen", erzählt Clemencia, Vermieterin einer Privatunterkunft in Sapzurro, der Nachbarsbucht von Capurganá. Vor zwölf Jahren ließ die pensionierte Soziologin die Hektik der Millionenstadt Bogotá hinter sich und zog hierher.

Flüchtlinge missbraucht

"Die Menschen werden ausgebeutet. Sie sprechen kaum Spanisch und haben keine Ahnung, worauf sie sich einlassen." Nicht nur die Schlepper machen mit dem Leid der Flüchtlinge Geschäfte. Erst im August wurden 25 Flüchtlinge aufgegriffen. Jeder hatte zwischen 7 und 10 Kilogramm Kokain im Gepäck. Als Gegenleistung für "freies Geleit" werden sie dazu genötigt, Drogen zu transportieren. Wer sich weigert, wird nicht selten erschossen. Die Zahl in Kolumbien aufgegriffener Flüchtlinge stieg zuletzt massiv an. Im Jahr 2017 zählte die kolumbianische Migrationsbehörde 2254 Inder, 567 Nepalesen, 510 Bengalen und 554 Flüchtlinge aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern. Die meisten wurden abgeschoben. Berichtet wird darüber kaum.

Auf seiner Reise nach Capurganá lief für Arjun nicht alles rund. Kurz nach seiner Ankunft in Ecuador wurde er ausgeraubt. In weiser Voraussicht hatte er einen großen Teil seines Bargelds in den Schuhen versteckt. So bleibt ihm nun gerade noch genug, um für die Durchquerung des Darién bezahlen zu können. Angst hat er aber auch vor Mexiko. Dort sind in den letzten Jahren viele Migranten von brutalen Drogenkartellen wie den "Los Zetas" versklavt, und manche gar ermordet worden. "Es wird nicht leicht, aber ich werde es bis an mein Ziel schaffen", ist Arjun überzeugt. Noch hat er einige Monate Reise vor sich. Die nächsten vier Tage dürften dabei die härtesten werden.

Warten und Abschied

Am Strand von Capurganá sammeln sich Flüchtlinge aus aller Herren Länder auf ihrem Weg von Kolumbien Richtung USA. Vor ihnen liegt der gefährlichste Teil ihrer Reise: der Darién-Urwald. Die kolumbianische Grenzwache kann nicht viele von ihnen aufhalten.

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