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Neue Spaltungslinien in der Gesellschaft

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Eine neue, tiefgreifende „strukturelle Konfliktlinie“ in der österreichischen Gesellschaft könnte zu einer weiteren dramatischen Umwälzung der politischen Landschaft führen.

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Eine neue, tiefgreifende „strukturelle Konfliktlinie“ in der österreichischen Gesellschaft könnte zu einer weiteren dramatischen Umwälzung der politischen Landschaft führen.

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Zu dieser Ansicht gelangen die renommierten Politologen Peter Ulram und Fritz Plasser in ihrer jüngsten Studie „Radikaler Rechtspopulismus in Österreich“, die auf den Resultaten diverser Wahlergebnisse und repräsentativer Umfragen von 1986 bis 1994 beruht.

Plasser und Ulram revidieren frühere Einschätzungen, wonach Jörg Haiders FPÖ ausschließlich ein quantitativ begrenztes „diffuses Protestpotential“ an Wählerstimmen (von rund 20 Prozent) ansprechen könne. Ein „theoretisches Stimmenmaximum“ für die FPÖ wollen Plasser und Ulram nicht mehr angeben: „Die Plafond-Frage ist empirisch nicht zu beantworten.“ Vielmehr sei aus der Sicht der Demoskopen eine „soziokulturelle Spaltungslinie“ festzustellen, die bereits das Ausmaß einer „strukturellen Konfliktlinie“ annehme: hie die Arbeitnehmer in geschützten, staatlichen Bereichen, dort die Arbeitnehmer in privaten Produktionsbereichen; hie die gewerkschaftlich orga-nisierten, da die gewerkschaftskritischen Arbeitnehmer; hie diejenigen Wähler, die das bewährte Modell der Sozialpartnerschaft grundsätzlich akzeptieren, dort jene, die es grundsätzlich ablehnen; hie die „Kirchennahen“, dort die „Kirchenfernen“. Belegt wird die These Plassers durch die Ergebnisse der Nachwahlumfragen (Fessel + GfK): demnach wählten 27 Prozent der in der Privatwirtschaft Beschäftigten die FPÖ, aber bloß 17 Prozent der öffentlich Bediensteten; lediglich 19 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder stimmten für die Freiheitlichen, aber 25 Prozent der Nicht-Mitglieder; bloß 13 Prozent der regelmäßigen Kirchgänger votierten für Haiders Partei, aber 24 Prozent der „passiven Katholiken“ (siehe FURCHE 41/1994).

Zusammenfassend gesehen verlaufe, so Plasser, diese „soziokulturelle Konfliktlinie“ zwischen jenen Österreicherinnen und Österreichern mit „kulturell offenen, liberalen Einstellungsmustern“ und jenen mit „autoritären Einstellungsmustern, die auch nicht mit anderen teilen wollen“. Plasser spricht in diesem Zu sammenhang von „Wohlstands-Chauvinismus“ (dazu auch Kommentar Seite 8), der sich gegen all jene richte, die als Bedrohung der eigenen - materiellen — Existenz empfunden werden.

In den kommenden Jahren werde es darum gehen, so der Befund des Wissenschafter- Duos, wie sich die Parteien entlang dieser Konfliktlinie positionieren. Anliegen der

Regierungskoalition müßte es sein, diese Konfliktlinie weitestgehend zu entschärfen. Notwendig wären mutige und tiefgreifende Reformschritte, meint Plasser: „Doch dafür kann ich derzeit keine Anzeichen erkennen.“ Als Beispiel dafür nennt Plasser das zwischen SPÖ und ÖVP vereinbarte Sparprogramm: „Das ist ein aufgelegter Ball für die Opposition“ und trage eigent lich nur dazu bei, die genannte Konfliktlinie zu vertiefen. „Anstatt zu erklären, wie lange diese Einsparungsmaßnahmen andauern müssen und was dann eigentlich für den einzelnen besser werden soll, wird nur über technische Details gesprochen.“

Der Wahlerfolg von Haiders FPÖ (dazu auch Seite 3) sei also - so die Studie - nicht auf eine „konjunkturelle, hochgradig fluktuierende Protestbewegung“ zurückzuführen, die bei einer „wechselnden Themenkonjunktur“ wieder abflaut, sondern sei ein „zumindest mittelfristig dauerhaftes Phänomen, das auf das Engste mit neuen Konflikten und Widersprüchen der Modernisierung und des Wandels hochentwickelter Industriegesellschaften im Zusammenhang steht“.

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