6959864-1984_44_03.jpg
Digital In Arbeit

Die grünen Maulwürfe

19451960198020002020

Nach der Landtagswahl in Vorarlberg zeigten sich die Altparteien verunsichert. Wohin steuert unsere Parteiendemokratie? Und wie könnte die. grüne Utopie aussehen?

19451960198020002020

Nach der Landtagswahl in Vorarlberg zeigten sich die Altparteien verunsichert. Wohin steuert unsere Parteiendemokratie? Und wie könnte die. grüne Utopie aussehen?

Werbung
Werbung
Werbung

Seit den sechziger Jahren vollzieht sich in der österreichischen Gesellschaft ein tiefgreifender Wandel. Die traditionelle Unterteilung der Bevölkerung in die klassischen Berufsgruppen wie Industriearbeiter, Bauern und Selbständige entspricht immer weniger der sozialen Realität.

Der wirtschaftliche und in der Folge auch regionale Umstrukturierungsprozeß hat eine neue soziale Mittelschicht hervorgebracht: sie ist stark am persönlichen Aufstieg orientiert, verfügt

über höhere Berufsqualifikation und Bildung, ist mobil.

Für viele war der soziale Aufstieg auch verbunden mit einem Ortswechsel, in erster Linie in die städtischen Ballungszentren hin. Die sogenannte Landflucht machte die Gesellschaft insgesamt urbaner. Traditionelle Bindungen an die kleinen Gemeinschaften, wie Familie oder Kommune, verloren an Bedeutung.

In dieser neuen Mittelschicht wuchs ein neuer Skeptizismus gegenüber politischen Patentrezepten. Die parteipolitischen Lagerbindungen gingen stark zurück.

Dementsprechend veränderte sich auch das Wahlverhalten. Heute, stimmen die Sozialforscher überein, kann nur mehr jeder zweite Wähler der Gruppe der sogenannten Stammwählerschaft zugerechnet werden. Jeder fünfte Wähler zeigt sich in seinem Wahlverhalten „stark mobil", weiß der ÖVP-Grundlagenforscher Fritz Plasser.

Dafür ausschlaggebend ist, so Plasser weiter, nicht bloß der erwähnte soziologische Strukturenwandel. Die „situativen, kurzfristigen Wahlentscheidungen" (Plasser) eines immer größer werdenden Teils der Wählerschaft sind auch darauf zurückzuführen, daß die Bürger andauernd mit divergierenden Problemlösungen konfrontiert werden.

Im Konzert einander oft widersprechender wirtschaftlicher, technischer und sozialer „Wahrheiten" beansprucht der Österreicher mehr „persönlichen Freiraum", glaubt der Sozialforscher Kurt Traar. Von vorgefertigter und mit Absolutheitsanspruch auftretender Politik hält vor allem der durchschnittliche Angehörige der „neuen Mittelschicht" reichlich wenig.

Dazu kommt, daß das ausgeprägte Konsensbedürfnis der großen politischen Lager zunehmend mit Korruption und ungerechtfertigten Privilegien für politische Funktionäre identifiziert wird. Parteien-, nicht aber generelle Politikverdrossenheit ist die Folge.

Bei diesem sogenannten AntiParteien-Affekt handelt es sich aber, so Sozialwissenschafter Traar, weitgehend um einen „diffusen Protest", der eine seiner Begründungen unter anderen auch in der ständig steigenden Steuer-und Belastungsquote finde.

Zu all dem kommt eine innerhalb weniger Jahre sprunghaft gestiegene Sensibilität für Fragen des Umweltschutzes. War das Thema „Umwelt" 1978 kaum ein — und wenn, dann höchstens ein marginales — politisches Thema, so führt heute „kein Weg am Umweltschutz vorbei" (Traar). Eine IFES-Studie aus dem Jahr 1981 belegt, daß die Forderung nach „natürlichen Lebensbedingungen", nach dem Vorrang der Ökologie vor der Ökonomie bei fast zwei Drittel aller Österreicher auf Sympathie stößt.

Die Schuldzuweisung für jahrelanges Versäumnis beim Umweltschutz geht eindeutig in Richtung aller drei traditionellen politischen Lager. So war es für neue politische Gruppen relativ einfach, sich ausschließlich auf „Grün"-Themen zu konzentrieren und in diesem Politikfeld Sympathie und Anhänger zu gewinnen.

Der „harte Kern" der deklarierten „Grün"- oder „Alternativ"-Wähler blieb indes — so die Meinungsforscher übereinstimmend — in den letzten vier Jahren mit vier bis sieben Prozent der Wahlberechtigten konstant.

Vor allem dann, wenn die grünen Gruppen eher apolitisch auftreten und auf einer emotionalen Ebene argumentieren, dürfen sie mit dem größten Zulauf rechnen. Sie entsprechen dann dem Lebensgefühl eines großen Teils gerade der städtischen Wählerschaft, die auch im Berufsleben ständig mit rationalen, technokratischen, eben „kalten" Problemlösungen konfrontiert wird.

Wie erfolgversprechend eine neue Partei sein kann, die jenseits des herkömmlichen Politikverständnisses operiert, läßt sich etwa an einer Testreihe des Sozialforschers Traar beweisen: Eine repräsentative Bevölkerungsgruppe wurde angehalten, ein „politisches Tagebuch" zu führen. Darin sollte aufgezeichnet werden, wie viele Gespräche über Politik etwa am Arbeitsplatz, mit Freunden oder in der Familie geführt werden. Die Ergebnisse zeigen, daß Politik im engeren Sinn im Leben der Befragten fast keine Rolle spielt.

Dennoch hält etwa ÖVP-Den-ker Plasser die Erweiterung des Parteienspektrums auch auf Bundesebene für „unaufhaltbar". Und daß im Jahre 2000 neben den traditionellen Parteien eine vierte, grün-alternative Partei im Nationalrat vertreten sein wird, hält die überwiegende Mehrheit der Österreicher für die wahrscheinlichste Variante, zitiert Kurt Traar ein Umfrageergebnis.

Dann allerdings schlägt auch für die „vierte Kraft" in der österreichischen Parteiendemokratie die Stunde der Wahrheit. Der Leiter des Linzer IMAS-Instituts, Andreas Kirschhofer-Bozen-hardt, liest aus seinen Umfragedaten lediglich einen Sympathievorsprung der Grün-Alternativen gegenüber den anderen Parteien heraus, nicht aber auch schon einen Glaubwürdigkeitsvorsprung. Kirschhofer: „Den grün-alternativen Parteien wird eher die Funktion von politischen Maulwürfen zugewiesen, die das etwas zu feste politische Erdreich aufgraben können."

Daß aber das Vorarlberger Wahlergebnis gleich als „politischer Erdrutsch" interpretiert wird, ist nur deshalb möglich, „weil wir nach wie vor im Vergleich zu fast allen europäischen Demokratien über relativ festgefügte, stabile politische Lager verfügen", meint Traar.

Daneben könnte eine starke grün-alternative Partei den Erneuerungsprozeß der großen, alten politischen Lager beschleunigen. Plasser: „Systeme lernen bekanntlich nur unter Druck."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung