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„Werbekampagnen nicht entscheidend”

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Von den gesellschaftlich relevanten Bevölkerungsgruppen stimmten bloß die Bauern, deklarierte FPO-und Grün-Wähler sowie „täglich-alles”-Leser mehrheitlich gegen den EU-Beitritt.

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Von den gesellschaftlich relevanten Bevölkerungsgruppen stimmten bloß die Bauern, deklarierte FPO-und Grün-Wähler sowie „täglich-alles”-Leser mehrheitlich gegen den EU-Beitritt.

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Angesichts des eindeutigen Ja-Votums der Bevölkerung bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt - 66,4 Prozent gegenüber 33,6 Prozent Nein-Stimmen -fällt es natürlich auch den Wahlforschern leicht, klare Analysen zu liefern. So kommen etwa die Politologen Fritz Plasser und Peter Ulram, ausgehend von 600 Nachwahl-Interviews von Fessel + GfK, zum Schluß, daß - mit Ausnahme der Bauern, der deklarierten FPÖ- beziehungsweise Grün-Wähler und der Leser von „täglich alles” - praktisch alle relevanten Bevölkerungsgruppen mehrheitllich für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gestimmt haben.

Auffällig dabei ist, daß der Anteil der EU-Befürworter mit steigendem Alter wächst: bei den Unter-30jährigen orten die Demoskopen 55 Prozent EU-Befürworter und 45 Prozent EU-Gegner. Von den 30- bis 44jähri-gen stimmten demnach 64 Prozent für den EU-Beitritt, von den 45- bis 59jährigen 68 Prozent und von den Über-60jährigen sogar 70 Prozent.

Klare Worte finden die Experten des „Zentrums für angewandte Politikforschung” auch für die Bedeutung der millionenschweren (Pro-und Kontra-) Werbekampagnen. „Man kann nicht sagen, daß die Kampagnen für das Abstimmungsverhalten ausschlaggebend waren”, attestiert Peter Ulram anhand der Nachwahl-Interviews: der Großteil der Befragten gab an, die „entscheidenden Informationen” über die Berichterstattung in den Massenmedien bezogen zu haben (siehe Graphik). Von jenen 30 Prozent der Stimmbürger, die ursprünglich mit „Nein” stimmen wollten, aber letztlich doch mit „Ja” votierten, gaben wiederum nur sieben Prozent an, daß dafür die Informationskampagne ausschlaggebend war; hingegen nannten 30 Prozent „Gespräche mit Familie, Freunden, Arbeitskollegen” beziehungsweise 25 Prozent die „Berichterstattung in den Massenmedien” als Motiv für ihren Meinungswandel. Ähnlich ist die Motivlage bei jenen 17 Prozent der Stimmbürger die von „Ja” zu „Nein” schwenkten: von ihnen zeigten sich 26 Prozent von der „Berichterstattung in den Massenmedien” beeindruckt, 22 Prozent von „Gesprächen mit Familie, Freunden, Arbeitskollegen” aber bloß sechs Prozent von „Informationskampagnen”. - „Die Pro-EU-Euphorie kann also nicht durch das werbliche Übergewicht erklärt werden”, meint Ulram.

Bemerkenswert findet das Politologen-Duo Plasser/Ulram, daß der Anteil der „late deciders”, also jener Bürger, die sich erst in den letzten Tagen oder Wochen auf ein Abstimmungsverhalten festlegen, so hoch war wie nie zuvor: während sich etwa bei der Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf bloß 14 Prozent in den letzten Tagen entschieden, waren es bei der EU-Volksabstimmung bereits 29 Prozent (zum Vergleich: auch bei der Nationalratswahl 1990 legten sich 14 Prozent der Wähler erst in den letzten Tagen fest).

Spannungslinien

Trotz des überwältigenden Ja-Votums orten Plasser und Ulram allerdings „mehrere latente Konflikt-und Spannungslinie” innerhalb der österreichischen Bevölkerung, etwa die überdurchschnittliche Skepsis der jüngeren Wählergeneration gegenüber dem EU-Beitritt. Ebenso bedenklich seien die diagnostizierten „sozioökonomischen Konfliktlinien”: überdurchschnittlich qualifizierte „Modernisierungsgewinner” stünden jenen Bevölkerungs- und Berufsgruppen gegenüber, die sich durch einen EU-Beitritt überfordert fühlen. In dieser Situation stecke ein gehöriges Konfliktpotential; Aufgabe der Politik und der Regierung wäre es, so Plasser und Ulram, nun für die „innere Integration” der österreichischen Gesellschaft zu sorgen und die Spannungslinien zu entschärfen.

Davon hänge aber, so Plasser, letztlich auch der Wahlerfolg der Koalitionsparteien ab: diese müßten nun durch konkrete Sachpolitik bei der Verwirklichung des EU-Beitritts ihre Daseinsberechtigung beweisen, damit Haiders FPÖ nicht von dem nach wie vor vorhandenen diffusen Protestpotential profitieren könne.

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