Wettrüsten im Pipeline-Krieg

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Die Nabucco-Pipeline soll Europa aus der Energie-Zange Russlands befreien. Doch Moskau hält mit einem eigenen Projekt dagegen.

Ob auf der Opernbühne oder im Erdgasgeschäft - bei Nabucco geht es um Freiheit: "Flieg, Gedanke, getragen von Sehnsucht, lass dich nieder in jenen Gefilden, wo in Freiheit einst glücklich wir lebten", singt der Gefangenenchor in Giuseppe Verdis Oper Nabucco, in der es gleichermaßen um Bekehrung wie Befreiung von Babylons König Nebukadnezar geht.

Befreiung von seiner Energieabhängigkeit gegenüber Russland erhofft sich die EU von der Nabucco-Pipeline. Ausgehend von Aserbaidschan über Georgien, Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn soll in der 3300 Kilometer langen Leitung Erdgas aus dem kaspischen Raum bis nach Baumgarten bei Wien gepumpt werden - unter Umgehung von russischem Territorium. Denn der Schock über die russischen Lieferstopps in die Ukraine, die im vorletzten, harten Winter zu Versorgungsengpässen in Westeuropa geführt haben, sitzt noch tief.

Totale Energieabhängigkeit ist schlecht, Alternativen sind gut - sowohl was die Produzenten als auch die Versorgungsrouten betrifft. Zu diesem Schluss sind einige europäische Energiemanager gekommen und haben in einer Nabucco-Pause in einer Opernloge die Pipeline Nabucco erfunden. "Nabucco ist wichtig", bringt Zeyno Baran deren Bedeutung auf den Punkt, "weil es Erdgas, das nicht von Russland kontrolliert wird, auf den europäischen Markt bringt." Die türkisch-amerikanische Wissenschafterin ist Direktorin des Hudson Centers für Eurasische Studien in Washington. "Russland verwendet den Energiemarkt als politisches Werkzeug", sagte sie letzte Woche bei einer Videokonferenz in der Wiener US-Botschaft und fügte hinzu, dass die USA in diesem Bereich nicht mit Russland auf derselben Ebene konkurrieren können. In Russland habe es nämlich der Aufsichtratsvorsitzende des weltgrößten Gaskonzerns Gazprom ins Präsidentenamt geschafft.

Vom Gas- zum Staatschef

Doch was den Russen ihr Dmitri Medwedew ist den Amerikanern ihr Dick Cheney, der es vom Vorstand des Energiekonzerns Halliburton zum US-Vizepräsidenten gebracht hat. Damit ist der Beweis erbracht, wie sehr die Politik mit der Energiewirtschaft und umgekehrt verbandelt ist - egal ob in Ost oder West. Und dazwischen liegt Europa und fürchtet, bei der Energieverteilung zu kurz zu kommen; und dazwischen liegt Österreich und hofft, mit Nabucco zum zentraleuropäischen Verteilerzentrum aufzusteigen.

Aber Zeyno Baran versetzte bei der Life-Schaltung aus Washington den österreichischen wie europäischen Hoffnungen einen Dämpfer: Neben der von Russland als Antwort auf die europäischen Umgehungsversuche geplanten Pipeline South-Stream mache Nabucco keinen Sinn, sagte Baran: Beide Pipelines würden die gleichen Märkte bedienen, und "können nicht parallel existieren".

In Russland ist man sich der Kampfansage, die man mit South-Stream an Nabucco macht, nicht nur bewusst, sondern sie ist bewusst provoziert: "Die Frage ist, welches Gas darin fließen und woher es kommen soll", antwortete Wladimir Putin im Februar in Bezug auf Nabucco und setzte noch eine zynische Bemerkung nach: "Wenn jemand ein Loch in die Erde bohren und darin Metall in Form einer Pipeline vergraben will, werden wir ihn nicht daran hindern." Aber massiv stören, muss man hinzufügen. Und nachdem Ungarn, Serbien, Bulgarien beim russischen Projekt unterschrieben haben, stehen die Chancen für eine Realisierung von South-Stream besser als für Nabucco. Noch dazu wo mit den geplanten South-Stream-Abzweigungen nach Italien und Griechenland die EU-Seite noch mehr auseinanderdividiert wird.

Einfluss gewinnen, Einfluss sichern, fremde Einflüsse ausbremsen, abwehren, nicht aufkommen lassen - das sind die Leitlinien für Russlands Energiepolitik. Heinrich Schwabecher, Russland-Spezialist der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, sieht deswegen im Kaspischen Raum keine Antwort auf die zukünftigen energiepolitischen Herausforderungen Europas. Der EU rät Schwabecher, sie solle sich zur Deckung ihres Energiebedarfs besser Nordafrika und dem Nahen Osten zuwenden. Rund um das Kaspische Meer wird sie nämlich "auf eine harte und kompromisslose Konkurrenz seitens Russlands und Chinas stoßen".

Energiewaffe schadet allen

Russland spielt eine zentrale Rolle in den Energiebranchen von Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan und hat sich diese mit langjährigen Verträgen abgesichert. Außerdem, so Schwabecher, bevorzugen die dortigen autoritären Regime die wirtschaftliche und politische Kooperation mit den in Demokratie- und Menschenrechtsfragen weniger sensiblen Russen und Chinesen.

Der deutsche Experte ist überzeugt, dass aus diesen Gründen "Russland politisch und wirtschaftlich alles daran setzen wird, die Verwirklichung der europäischen Alternativpipelines und Projekte, die sich gegen die russischen Interessen richten, aufzuhalten und die europäischen Staaten in Energiefragen gegeneinander auszuspielen". Doch Schwabecher sieht in diesem europäischen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber Russland keinen Grund zur Sorge: Die Existenz und ein möglicher Einsatz der russischen Energiewaffe gegen die EU ist für ihn angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen beider Seiten äußerst zweifelhaft.

Russland würde sich mit einer Reduzierung der Energielieferungen nach Europa einen erheblichen internationalen, politischen und vor allem auch wirtschaftlichen Schaden zufügen. Die EU braucht zwar Russland, um den eigenen wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern, sagt Schwabecher, aber Russland braucht die EU für seinen wirtschaftlichen und politischen Wiederaufstieg und hat daher ein großes Interesse sich als sicherer Energielieferant zu profilieren. Schließlich gehen mehr als 70 Prozent der russischen Gasexporte nach Westeuropa. Und dass sich China zu einem attraktiveren Energie-Abnehmer für Russland als Europa mausert, ist fraglich. Als ein riesiger Absatzmarkt wäre China die ungemütlichere weil den Preis mehr mitbestimmende Kundschaft als die einzelnen europäischen Länder. Schwabecher: "Die Existenz einer russischen Energiewaffe gegen die EU ist äußerst fraglich. Ihre Nutzung würde schnell auf Russland selbst zurückfallen - der Schuss würde nach hinten abgehen."

"Sto delat?" - Was tun? heißt eine Abhandlung Lenins; angesichts der russischen Widerstände gegen Nabucco stellt sich jetzt für deren europäischen und vor allem österreichischen Betreiber diese Frage. Sollen sie aus der Oper ins Casino wechseln, ihr Projekt aufgeben und auf "Rien ne va plus" umtaufen? Noch dazu wo die Nabucco-Geschäftsführung letzte Woche aufgrund der stark gestiegenen Stahl- und Ölpreise die Fast-Verdoppelung der Baukosten von 4,4 auf knapp 8 Milliarden Euro bekannt geben musste.

"Monopole sind schlecht!"

Ein scharfer Einspruch gegen eine Absage des Projekts kommt aus dem Land, in dem Nabucco seinen Ausgang nehmen soll: Aserbaidschan. "Glauben Sie mir als einem Experten", sagt Elkhan Nuriyev im Telefoninterview mit der Furche: "Nabucco wird gebaut, dazu ist es von zu großer Bedeutung für Aserbaidschan und für Europa - und auch die USA haben großes Interesse an dieser Pipeline." Und Nuriyev ist sehr glaubwürdig. Er ist Direktor des "Zentrums für strategische Studien unter dem Präsidenten der Republik von Aserbaidschan" in Baku und hat durch diese Funktion ein beträchtliches Maß an Insiderwissen.

South-Stream nennt Nuriyev eine "interessante Idee", aber Nabucco ist für ihn ein "reales Projekt". Dass der Druck auf die Post-Sowjetstaaten unter dem neuen russischen Führungsduo Medwedew/Putin steigen wird, ist für den Politologen gewiss: "Der Kreml wird den wirtschaftlichen Druck erhöhen", sagt er, "das ist eine ernste Herausforderung, aber wir sind politisch gut vorbereitet." Nuriyev verweist auf die von Aserbaidschan ausgehenden bereits gebauten Pipelines BTC und BTE: "Wir haben damit gezeigt, dass wir das Spiel bestimmen können." Und so wie vor ein paar Jahren die europäischen Energiemanager in ihrer Opernloge hat auch Nuriyev ein schlagendes Argument, warum Nabucco gebaut werden muss: "Weil wir die Monopolisierung verhindern müssen, die ist immer schlecht - das gilt für jedes Land!"

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