Auf dem Weg hin zur Enttabuisierung

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Es geht um Kontrolle über Frauen, das Bewusstwerden und die Änderung von Einstellungen. FGM (female genital mutilation) spielt sich nicht mehr in weiter Ferne ab. Auch in Österreich muss man sich dieser Problematik stellen.

Es gibt keine genauen Zahlen oder Fakten. Nur Mutmaßungen und inoffizielle Schätzungen. Aber eines gibt es mit Sicherheit: Die Bestrebung, etwas zu ändern.

Weibliche Genitalverstümmelung ist längst kein rein afrikanisches Problem mehr. Schon lange ist es über die Grenzen Europas nach Österreich gelangt. Doch auch hier ist und bleibt es noch ein Tabuthema. "Der Bewusstseinsprozess ist im Gange, aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns", sagt die Wiener Gynäkologin und Mitarbeiterin der Afrikanischen Frauenorganisation Schadia Zyadeh-Jinniate im Gespräch mit der Furche.

Nach einem Situationsbericht von Etenesh Hadis, Vorsitzende der Afrikanischen Frauenorganisation in Wien, leben ihrer Schätzung nach etwa 8000 beschnittene Frauen in Österreich. Robert Schlögl, Leiter der Sektion Verbrauchergesundheit und Gesundheitsprävention im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, steht diesen Zahlen eher skeptisch gegenüber: "Das sind hochgerechnete Schätzungen. Wir ziehen eher den vorsichtigen Schluss, dass in Österreich keine Verstümmelungen vorgenommen werden und daher keine Bedrohung besteht."

Studien als Denkanstöße

Einer Umfrage der Afrikanischen Frauenorganisation vom Jahr 2000 zufolge wird FGM unter österreichischen Migranten praktiziert, und 35 Prozent der Mädchen haben sich diesem Eingriff unterzogen. Damals wurden 250 afrikanische Männer und Frauen, die in Österreich leben, befragt. Die Studie ergab, dass die Mehrzahl der Beschneidungen in Afrika stattgefunden hat, aber immerhin elf Prozent der Eingriffe in Europa durchgeführt wurden.

Bei einer Untersuchung im Jahre 2006, durchgeführt vom Frauenministerium in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer und UNICE, wurden 1667 österreichische Fachärzte, darunter Gynäkologen und Kinderärzte, und 250 öffentliche Krankenanstalten zum Thema FGM befragt. 14 Prozent der Ärzte und 16 Prozent der Krankenhäuser gaben an, mindestens einmal eine Betroffene behandelt zu haben. Erkannt wurde die Beschneidung größtenteils im Zuge einer Schwangerschaft und nicht aufgrund einer Voruntersuchung. Die Ärztin Schadia Zyadeh-Jinniate weiß aus ihrer Praxis, dass die Frauen einfach nicht gern über dieses Thema reden würden: "Wichtig ist vor allem das Sympathie-Klima beim Gespräch mit den Patienten. Liegt eine Beschneidung vor, dann ist meine Aufgabe vor allem die Beobachtung bei der Geburt und Schwangerschaft." Die medizinische Beratung sei aber nur ein kleiner Teil. Die Gynäkologin misst vor allem der psychischen Beratung Bedeutung bei.

Weitere Ergebnisse der Studie des Gesundheits-und Frauenministeriums zeigen, dass das Alter der Patientinnen zwischen 15 und 44 Jahren betragen hat. Da es bei den Kinderärzten nur einen Fall von FGM gab, kamen die Autoren der Studie zum Schluss, dass die Eingriffe in einem höheren Alter (zwischen sechs und zehn Jahren) durchgeführt wurden, und bei Beschwerden ein Gynäkologe und nicht ein Kinderarzt aufgesucht wurde. Vier der befragten Ärzte haben angegeben, gehört zu haben, dass auch in Österreich eine Beschneidung durchgeführt worden sei.

81 Prozent der Krankenhäuser haben damals bei betroffenen Patientinnen keine weiteren Schritte unternommen und das Problem ignoriert. "Die Umfrage hat aber einen guten Denkanstoß geliefert. An den Krankenanstalten wird jetzt mehr zu diesem Thema gemacht," sagt Robert Schlögl.

Auch einer Studie von der "Österreichischen Plattform gegen weibliche Genitalverstümmelung" (stopFGM, vgl. Interview Seite 3) und dem Wiener Programm für Frauengesundheit von 2005/06 zufolge besteht eine dringende Notwendigkeit an Fortbildungsangeboten und ist eine intensivere Beschäftigung mit dem Thema erwünscht. Untersucht wurde der Wissensstand von Gynäkologen, Hebammen und Kinderärzten in medizinischer wie auch in rechtlicher Hinsicht. Ergebnisse zeigen, dass der Mehrheit der Befragten FGM bekannt war, aber mehr Information in der Fortbildung gewünscht wird. Laut dieser Studie ist der Schlüssel zur Beendigung von diesen Verstümmelungen die Gleichberechtigung der Frau in sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht.

Bedarf an Fortbildung

In der Hebammenakademie wie auch im Medizinstudium wurde bereits auf das Problem reagiert. Vor einiger Zeit wurde FGM in die Fortbildung aufgenommen. "Wir bereiten die Hebammen auf das Berufsleben vor. Sie müssen lernen, mit dieser Problematik umgehen zu können", meint die Direktorin der Hebammenschule, Christine Kohlhofer. Gastvortragende, darunter Betroffene oder Experten, würden den angehenden Hebammen die Hintergründe und Therapiemöglichkeiten für beschnittene Frauen erklären.

Ein weiterer Versuch, weibliche Genitalverstümmelung in das Bewusstsein der Menschen zu bringen und sich damit auseinander zu setzen, ist die Meldedatenbank, die seit 1. März 2006 vom Bundesministerium für Gesundheit und Frauen zur Verfügung gestellt wird ( www.htp-datenbanken.at). Auf dieser Plattform können betroffene Frauen, aber auch Beratungsstellen und Ärzte anonym Fälle von Genitalverstümmelung melden. Sibel Akgün vom Ministerium für Gesundheit und Frauen und Verantwortliche dieser Datenbank meint dazu: "Das Angebot wird allerdings noch nicht zufrieden stellend genutzt. Bis jetzt gibt es erst vier Anmeldungen, aber nicht von Betroffenen, sondern von Beratungsstellen." Sie weist weiter darauf hin, dass dieses Datenmaterial die Problematik klären und in weiterer Folge eine Anleitung zum Umgang mit dieser Verstümmelung geben soll.

Gesetz als Grundlage

Rechtlich gesehen gilt in Österreich seit 2001, dass "weder Eltern für ihre Kinder, noch eine volljährige Frau für sich selbst mit strafbefreiender Wirkung in die Genitalverstümmelung einwilligen kann" (§ 90 Abs. 3 StGB). Die Tat ist auch bei Begehung im Ausland strafbar. Seit 1. Juli 2006 gibt es einen Zusatz des Gesetzes, der besagt, dass die "Verjährungsfrist bei Genitalverstümmelung erst ab der Vollendung des 18. Lebensjahres beginnt". Diese Gesetze seien, so Schadia Zyadeh-Jinniate, eine wichtige Grundlage und Voraussetzung, an weitere Vorgehen anzuknüpfen. Die Anwendung der Genitalverstümmelung könne nicht nur rechtlich eliminiert werden, man müsse vielmehr das Problem verstehen und einen Wandel der Einstellungen erreichen. "Wir brauchen natürlich eine deutliche gesetzliche Klarstellung, aber das ist erst der Beginn dieses langfristigen Prozesses," gibt die Gynäkologin zu bedenken. "Das Hauptgewicht liegt in der Aufklärungsarbeit und in der Identitätsänderung."

Immer präsent bleiben

"In den letzten Jahren wurde angefangen, viel über dieses Thema zu sprechen. Aber die Zuwanderung wird mehr und wir müssen immer wieder Aktivitäten dazu setzen", so Christine Kohlhofer von der Hebammenakademie. Schadia Zyadeh-Jinniate will den Fokus vor allem auf Beratungsstellen, Aufklärungsveranstaltungen und Selbsthilfegruppen setzen. "Das endgültige Ziel ist die Prävention und vollkommene Abschaffung von weiblicher Genitalverstümmelung, um die neue Generation vor diesem ,Massaker' zu schützen. Wir dürfen auch nie vergessen, durch wen die Problematik der weiblichen Genitalverstümmelung in Europa bekannt wurde - durch afrikanische Frauen, die gegen FGM gekämpft haben."

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