Tortur aus Tradition

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Noch immer werden etwa 6000 Mädchen täglich Opfer weiblicher Genitalverstümmelung. Auf religiöse Vorschriften des Islam können sich die Täter(innen) dabei nicht berufen.

Sie bekommen Geschenke. Und sie werden ermahnt, tapfer zu sein. Doch das Trauma bleibt: von jenem Moment, in dem sie von älteren Frauen festgehalten werden; in dem sie ihre Beine spreizen müssen; in dem man mit Glasscherben oder Rasierklingen ihre Klitoris wegschneidet (Klitoridektomie), die kleinen Schamlippen entfernt (Exzision) oder sogar die großen Schamlippen amputiert (Infibulation oder pharaonische Zirkumzision). 6000 Mädchen - vom Säuglingsalter bis zur Pubertät - werden Tag für Tag Opfer dieses grausamen Rituals. Geschätzte 155 Millionen Frauen weltweit leiden bis heute an dieser Verstümmelung ihrer Genitalien, ihrer Gesundheit und Sexualität.

Vor allem in afrikanischen Staaten, aber auch in Regionen Asiens, Australiens, Latein- und Nordamerikas wird die weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation; fgm) nach wie vor praktiziert. In Österreich, wo geschätzte 8000 betroffene Frauen leben, ist fgm seit 2001 verboten. Erst vergangenen Donnerstag wurde die neue, von der Stadt Wien finanzierte fgm-Beratungsstelle "Bright Future" im Wiener Afro-Asiatischen Institut eröffnet. Zudem will Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (vp) im Zuge der österreichischen eu-Präsidentschaft den Kampf gegen diese frauenverachtende Praxis intensivieren.

Doch warum wird sie überhaupt angewandt: Aus traditionellen Gründen? Oder gar, weil es die Religion gebietet? Tatsächlich sprengt diese seit Jahrtausenden angewandte Tortur die religiösen Grenzen: Sowohl in muslimischen, als auch in christlichen oder animistischen Gesellschaften ist weibliche Genitalverstümmelung bekannt. Dennoch wird vor allem dem Islam unterstellt, diese Praxis zu billigen. Zu Unrecht, wie Anas Schakfeh, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, betont: "Diese Unsitte ist anti-islamisch. Sie hat nicht wegen, sondern trotz der Religion in manchen Gebieten überlebt."

Keine Belege im Koran

Eine Feststellung, die der in Gaza geborene Scheich Adnan Ibrahim, Imam der Schura-Moschee in Wien-Leopoldstadt und seit 2002 Dozent an der Islamischen Religonspädagogischen Akademie Wien, im Rahmen eines Vortrags an der Universität Wien untermauerte. "Im Koran gibt es überhaupt keinen Beleg, dass die Beschneidung eine Pflicht ist - weder für Männer noch für Frauen", erklärte der Gelehrte, der auch Medizin studierte und bei der Imame-Konferenz im vergangenen April in Wien eine tragende Rolle spielte. Im Gegenteil würde im Heiligen Buch der Muslime körperliche Gewalt verurteilt und das Recht der Frau auf Liebeslust betont. "Der Islam sagt sogar, dass die Frau ein höheres Recht darauf hat als der Mann", meinte Ibrahim. Die Schamlippen einer Frau zu entfernen würde eine ebenso hohe Ersatzleistung (Diya) erfordern wie ein Mord. "Das ist ein großes Verbrechen", betonte der Theologe.

Ebenso negativ ist der Befund beim Blick in die "Sunna", nach dem Koran zweitwichtigste Quelle für gläubige Muslime. Irritierend ist freilich jener Hadith (überlieferte Aussage des Propheten Muhammad), wo eine Frau, die die weibliche "Beschneidung" praktiziert, vom Propheten folgende Antwort erhält: "Du sollst nicht (die Klitoris) abschneiden, sondern nur etwas von der Vorhaut wegschneiden." Auf diesen Hadith würden sich jene berufen, die die so genannte "Sunna"-Beschneidung praktizieren, bei der nur die Vorhaut der Klitoris entfernt wird, betont Scheich Ibrahim: "Doch bei diesem Hadith ist die Überlieferungskette an mindestens zwei Stellen fehlerhaft. Er ist daher zurückzuweisen."

Auf die heiligen Schriften des Islam können sich die Beschneiderinnen also nicht berufen - auch nicht in Somalia, wo 98 Prozent der Frauen infibuliert sind. Dass sie deshalb ihre grausame Tradition beenden, glaubt Etenesh Hadis von "Bright Future" nicht: "Schließlich können viele nicht einmal lesen."

Infos unter www.african-women.org

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