Unüberbrückbare Grenze

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Ein Jahr nach der EU-Erweiterung liegt die Region rund um die "Storchenstadt" Marchegg immer noch mit dem Rücken zur Grenze. In der Donaumonarchie gab es zwölf March-Brücken, im neuen Europa sucht man vergeblich nach zuverlässigen Übergängen.

Auf der ganzen Welt gibt es keine zwei Hauptstädte, die näher aneinander liegen als Wien und Bratislava, die Hauptstädte Österreichs und der Slowakei. 65 Kilometer beträgt die Wegstrecke zwischen den beiden Stadtzentren, auf 35 Kilometer schrumpft die Distanz, misst man von Stadtgrenze zu Stadtgrenze. Hier ist die Naht zwischen altem und neuem Europa auf Pendlerdistanz verkürzt.

Nach einer Schrecksekunde von fünfzehn Jahren entdecken nun die Stadtväter, welches Geschenk ihnen die Geografie in die Wiege gelegt hat. Ein Wortgeklingel hebt an: Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl hat sein Konzept einer "Twin-City" vorgestellt. In einem Wording-Wettbewerb des Stadtschulrats wurde für die mitteleuropäische Urbanregion, die das tschechische Brünn und das ungarische Györ mit einschließt, das Kunstwort "Centrope" kreiert.

Quer durch "Centrope" fließt jedoch die March und durchschneidet die Region unüberwindlich. In der Endphase des Habsburgerreichs führten noch zwölf Übergänge, darunter vier Straßenbrücken, über den Grenzfluss. Heute kann der 74 Kilometer lange Lauf der March zwischen Donaumündung und tschechischer Grenze nirgends zuverlässig überquert werden.

Neue EU - alte Pontonbrücke

Ganz im Norden, im Dreiländereck Österreich-Tschechien-Slowakei, ist tagsüber eine provisorische Pontonbrücke in Betrieb - aber nur bei günstigem Wasserstand. Längst sollte das Provisorium, das in einem Bürgerentscheid ursprünglich abgelehnt wurde, einer fixen Brücke weichen. Tatsächlich wurde vor einem Jahr auf österreichischer Seite ein Brückenpfeiler errichtet, und dabei ist es seither geblieben. Weiter südlich verkehrt, wenn die March nicht gerade zuviel oder zuwenig Wasser führt, in bukolischer Idylle die Angerner Fähre.

An der eingleisigen Bahnlinie Wien-Bratislava, direkt an der Grenze, liegt die niederösterreichische "Storchenstadt" Marchegg, eine strukturschwache Gemeinde von 3500 Einwohnern. Nach vierzig Jahren am Eisernen Vorhang wurde Marchegg in den Neunzigern zur Frontstadt der Schengengrenze. Omnipräsent sind die Grenzgendarmerie und die Zwei-Mann-Patrouillen des Bundesheers. In der Mitte des weitläufigen Marchegger Hauptplatzes steht der massive Grenzüberwachungsposten, in dessen "Anhalteräumen" jene Flüchtlinge festgehalten werden, die es über die March schaffen.

Die bei Tag und Nacht überwachten Marchauen sind ein reizvolles Kleinod der Natur, besonders das gut erschlossene "Storchendorf Europas" ist bei Tagesausflüglern beliebt. In den abgestorbenen Eichen der Au siedelt die größte baumbrütende Weißstorchkolonie Europas. Die etwa achtzig Störche sind die einzigen Bewohner Marcheggs, denen die Grenze nicht schwer im Magen liegt: Sie haben ihre stattlichen Nester zwar in Marchegg, holen sich ihr Futter aber gern aus den Feuchtgebieten in der Slowakei.

Trotz zahlloser Bemühungen liegt Marchegg ein Jahr nach dem eu-Beitritt der Slowakei immer noch mit dem Rücken zur Grenze. Eine slowakische Speisekarte bekommt man nicht, doch kann man sich das kulinarische Angebot mühelos übersetzen lassen - in Marchegg und Umgebung bedient fast ausschließlich slowakisches Personal. Will man aber von Marchegg ans andere Ufer der March fahren, besteht die einzige zuverlässige Verbindung in einer über vierzig Kilometer langen Route, die weit nach Süden, zweimal über die Donau und durch das gesamte Stadtgebiet von Bratislava führt. Dabei ist Devínska Nová Ves, ein entlegener Stadtteil Bratislavas, gerade einmal fünf Kilometer entfernt. Das dort angesiedelte Volkswagen-Slovakia-Werk, eine riesige Anlage für 7000 Beschäftigte, ist von Marchegg aus gut zu sehen.

Mit Blick auf die Isolation Marcheggs erscheint vor allem ein Umstand kurios: Die Brückenpfeiler zur seit Jahren projektierten Brücke existieren bereits - sie wurden schon 1917 von italienischen Kriegsgefangenen errichtet.

LH Erwin Pröll fragen!

Um Peter Schmidt auf die Palme zu bringen, reicht die Frage, warum immer noch niemand eine Brücke auf die vorhandenen Pfeiler gelegt hat. "Das müssen Sie den niederösterreichischen Landeshauptmann fragen", antwortet der Marchegger Bürgermeister entnervt. Erwin Pröll, der Landeshauptmann, hat zwar im November 2003 den Spatenstich zur Brücke vorgenommen, doch ist das Projekt danach in der Mühle unterschiedlicher Widerstände stecken geblieben. Die Umweltverträglichkeitsprüfung steht aus, und auch auf slowakischer Seite kooperieren längst nicht alle Beteiligten.

"Achtzig Prozent der Marchegger wollen die Brücke", gibt sich Schmidt überzeugt, "es sind nur zwanzig Prozent, die gegen alles sind." Was den Bürgermeister so böse macht, sind die Aktivitäten der Marchegger Bürgerinitiative, die aus ökologischen Gründen gegen den Bau einer Autobrücke kämpft. Das mit der Brücke verknüpfte Projekt einer Schnellstraße nach Wien würde eine Schneise zur Autobahn zwischen Bratislava und Brünn schlagen. Die Bürgerinitiative fürchtet um das Gleichgewicht der Aulandschaft, die durch die internationale Ramsar-Konvention geschützt ist. Karin Chladek, Mitstreiterin der Bürgerinitiative, kritisiert das auf die Autoindustrie fixierte Wirtschaftsmodell der Regionalpolitiker: "Es werden Versprechungen von Zigtausenden künftigen Arbeitsplätzen gemacht, die durch eine Schnellstraße vom Himmel fallen würden, anstatt dass genauer hingesehen wird, wer in der Region derzeit tatsächlich wirtschaftlichen Erfolg hat."

"Allein mit Grüne-Bäume-Anstreichen kann man keine Arbeitsplätze schaffen", schimpft der Bürgermeister, der einer Gemeinde von Wien-Pendlern vorsteht.

Wenig Mut für das Zusammenwachsen von österreichischem Marchfeld und slowakischem Zahorie gewinnt man auch, wenn man die tiefen Spaltungen innerhalb der Gemeinde selbst betrachtet. Marchegg zerfällt in Marchegg-Stadt und Marchegg-Bahnhof, zwei Entitäten, die drei Kilometer auseinander liegen. "Wenn ich einen Bahnhöfler nur seh', muss ich schon speiben", entfährt es einer älteren Einwohnerin von Marchegg-Stadt. Ist Marchegg reif für Centrope?

"Ein vergessenes Eck"

"Jetzt hätten wir die Früchte ernten können", erklärt Josef Purkhauser bitter. Als Wirtschaftskammer-Chef des österreichischen Bezirks Gänserndorf vertritt er die wirtschaftlichen Interessen der Region Marchfeld. "Wer sich jenseits der March umsieht und das Tempo registriert, mit dem dort der wirtschaftliche Aufschwung vollzogen wird, stellt fest, dass in unserem Grenzgebiet für langes Überlegen keine Zeit mehr ist." 300 Millionen Euro Kaufkraft gehen verloren, rechnet die Wirtschaftskammer vor, zehntausend Menschen pendeln nach Wien. Verdrossen nennt Purkhauser die Region nur noch ein "vergessenes Eck".

Im Juli 2003 wurde - in freudiger Erwartung einer Brücke - der Wirtschaftspark Marchegg eröffnet. Das Land Niederösterreich hat seither über die Gesellschaft Eco Plus 4,4 Millionen Euro investiert, Grundankäufe nicht eingerechnet. Dahinter steht das Interesse österreichischer Investoren, an dem Automobilcluster zu partizipieren, der sich um Volkswagen Slovakia ausgebreitet hat. Unter den Interessenten wird nicht zuletzt Magna, der Autozulieferer-Konzern des Austro-Kanadiers Frank Stronach, vermutet. Bisher ist der Wirtschaftspark Marchegg aber tatsächlich ein Park geblieben: Kein einziger Betrieb hat sich angesiedelt.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Bratislava.

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