Alois Brandstetter ist, wie er auf der ersten Seite seiner „Almträume" deponiert, „ein Heimatschriftsteller", daneben Häusler in Oberösterreich und Kathederinhaber in Klagenfurt. Zu Hause ist der Altgermanist in der Sprache. Er will, fügt er hinzu, „den Zusammenhang zwischen Sache und Wort zur Geltung" bringen.Als Wurzelsucher botanisiert er gewissenhaft auch blühenden Unsinn, der da und dort zu Wort kommt, weil Rede-Unkraut interessant wird, wenn man den Mißwuchs philologisch unter die Lupe nimmt. Es ist lehrreich und wird spannend, wie der gelernte Professor und
Der Romantitel „Dritte Verführung geht von dem Zitat aus, das als Buchmotto dient: „Erste Verführung: zu leben. Zweite Verführung: zu lieben. Dritte Verführung: zu töten.”Vera und Ruth, Jugendfreundinnen und grundverschiedene Charaktere, haben einander 16 Jahre nicht mehr gesehen. Ruth hat einen deutschen Professor geheiratet, ist mit ihm und dem Sohn auf eine spanische Insel gezogen und hat es brieflich erreicht, daß Vera sich von ihrer Theaterarbeit frei nimmt und zu Besuch kommt. Der extreme Sonderling Gustav, Ruths Gatte, unberechenbarer Haustyrann, stimmt dennoch allmählich
Joggeli und Jöggu nannte Friedrich Dürrenmatt sich und Charlotte Kerr. Er lernte, einige Zeit nach dem Tod seiner ersten Frau, die Münchner Do-kumentar-Filmerin im September '83 kennen, im Mai '84 heirateten sie, im Dezember '90 starb er an Herzversagen. Die Jahre mit ihm beschreibt sie nun, und der Text fängt an: „Die Frau im roten Mantel (eine Zeichnung von Dürrenmatt, Anm.) bin ich." Auf der letzten Seite: „Ich bin stolz, seine Frau gewesen zu sein." Mit Recht; es war bestimmt nicht einfach, es war ihre Leistung, im mitreißenden Strom der geistigen Überfülle seiner
„Briefe" von George Saiko beenden die fünfbändige Ausgabe seiner „Sämtlichen Werke" und belegen die vergebliche Anstrengung des Autors und mancher Freunde, seinem Werk zum Durchbruch zu verhelfen. Es geht vor allem um die zwei Romane „Auf dem Floß" und „Der Mann im Schilf: Sie wurden unterschiedlich rezensiert, aber gleich schlecht verkauft und zuletzt vom Verlag verramscht.Daß Saiko im Dezember 1962, 18 Tage vor seinem Herztod, den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur bekam, mag ihm euphorische Genugtuung gewesen sein, - es war nicht viel mehr als
„Das Dürrenmatt Lesebuch" wählt einen Auserwählten aus, der alles, nur kein Lesebuch-Autor war, ein Schweizer, der die notorische Biederkeit dieses Volkes mit herzlichem Spott durchschaute, nicht nur die Welt der Schweizer, sondern die Schweizer in aller Welt: Pastorensohn, Agnostiker, aber Pastorenvater. Unter vielen Ehrungen wurden ihm drei Schillerpreise zuerkannt, nach einem Autor benannt, den er mit großem Respekt ablehnte und in einer Dankrede mit Brecht verglich, bei dem er auch nur die Begabung bewunderte, nicht das Werk.Die köstlichen Kostproben dieser Anthologie stellen
Sie mußte, wie andere Autoren auch, beruflich ein Doppelleben führen. Neben ihrer erzählenden Prosa (Romane, Biographien), Übersetzungen englischer Dramen und eigenen Bühnenwerken agierte sie als Zei-tungskorrespondentin, zuletzt hauptsächlich für die FAZ. Deren Format bot Raum für breit argumentierende „Literarische Essays, Interpretationen, Rezensionen"; so der Untertitel des Nachlaßbandes „Das Haus des Dichters". Er wurde „zusammengestellt und herausgegeben von Hans A. Neunzig", doch betont er im Nachwort, daß er den Plan „noch mit Hilde Spiel
Um Alexander Solschenizyn ist es still geworden. Die Entwicklung in den Staaten der ehemaligen UdSSR scheint seine Berühmtheit und seine Wirkung überrollt zu haben. Der alte Mann in seinem Gut im amerikanischen Vermont, hinter hohen Mauern mit allen Sicherheitsvorkehrungen gegen Feinde aus dem Kreml - das wirkt ein wenig gestrig.Allerdings, daß es tatsächlich gestrig wirkt, daran ist dieser Alexander Solschenizyn in hohem Grad mitbeteiligt. Gerade jetzt, da die krisenhaften Geburtswehen neuer Staaten auf dem Gebiet der einstigen Sowjetunion die Geschichte wieder in Bewegung gebracht haben,
Auch das dritte Buch aus dem Nachlaß von Veza Canetti (1897-1963), „Geduld bringt Rosen", erreicht den literarischen Rang der ersten; nur der sozialkritische Akzent in den sechs Erzählungen ist stärker geworden. Die ersten fünf sind 1932 bis 1934 geschrieben und gedruckt worden, die letzte, zeitlose, ist. ein Erstdruck.Die Besitz- und Machthabenden bringen wenig oder gar kein Mitgefühl auf für Arme oder Schwache und nützen sie mit allen Mitteln aus. Krankheit, Beschuldigung der Unschuld und Arbeitsverlust sind nicht Mißgeschick, werden zum Schicksal kleiner Leute. Die
Der namhafte Schriftsteller Dieter Wellershoff hat essayistische Biogra-fien geschrieben (zum Beispiel über Gottfried Benn, Albert Camus, Samuel Beckett und sich selbst), daneben literaturkritische Aufsätze, Romane und: „Der Sieger nimmt alles" (1983) meint den eigenen Bruder. Der ist am 11. Mai 1989 an Leukämie gestorben, und das Elend solchen Siechtums liegt nun als „Blick auf einen fernen Berg" vor; aber schon der Titel deutet an, daß es auch um die schmerzvolle Hinsicht des Nahverwandten auf die aussichtslose Chancenarmut des anderen geht: Der Schreibende offenbart sein
Der schmale Band „Schwingrasen von Sarah Kirsch, mehr als 50 kurze Pro-sastücke, macht deutlich, wie nahe verwandt Satire mit Lyrik sein kann. Aus hoch- und niederdeutschen Redeweisen macht sie ein eigenes Schriftdeutsch, auch die Satzzeichen gehorchen dem Sprechton und nicht den Dudenregeln.Land- und Stadtleben kommen zu originaler Sprache, auch „Prinz Lieblos", mit dem sie etwa zehn Jahre verheiratet war, hatte seine guten Seiten, und „dem verehrten Publico" ihrer Lesungen werden die Leviten gelesen, weil „ich keine Schuld trage, so es in die falsche Veranstaltung kam.
„Der Wind stand still", und für Hermann Pratt war es „die Rückkehr in die Einsamkeit". Der neue Roman von Marianne Gruber, „Windstille", schildert das immer gleiche Ungemach zwischen Menschen ungleicher Herkunft. Das Strandleben im Kärntner Urlauberparadies: selige Idylle für Fremde, geheime Feindseligkeit unter Einheimischen, die es bloß Ansäßigen nicht gönnen, dort heimisch zu werden.Die junge Marja wird tot aufgefunden, erwürgt von wem, da der Ort nur anständige Leute aufweist? Die Tote hat eine üble Nachrede, der 60jährige Pratt führt eine schlechte Ehe;
„Nacht, Tag und Nacht" flüstert der jüdische Häftling Knoller im polnischen Untersuchungsgericht, und so heißt auch der neue Roman von Andrej Szczypiorski, der das alles durchgemacht hat: KZ in der NS-Zeit, Judenverfolgung in Polen als Reaktion auf den Sechstage-Krieg und späte Rehabilitierung.Der Roman, passagenweise polemische Abhandlung, zuletzt bitter satirisch, beginnt und endet als Interview, dazwischen 40 Jahre Unheil an unterschiedlichen Beispielen, Menschen und Unmenschen. Deutsche, Russen, Polen und auch Juden als Täter und Opfer, doch schon vor den Opfern sind die
Der Klappentext für „Die Verteidigung der Kindheit" von Martin Walser beginnt: „Ein Liebesroman also." Glatte Falschmeldung. Zwar spielt die Beziehung des angehenden und später praktizierenden Juristen Alfred Dom zur Mutter (Ehe geschieden) eine wichtige Rolle, artistisch gewichtiger ist es aber, wie die Entwicklung im geteilten Deutschland ins Gespräch kommt.Denn Alfred (aus dem Ostsektor) studiert und agiert hauptsächlich im Westteil der Stadt und später des Landes, man sah keineiyGrund, „die Sprache der anderen Seite für eine Sprache zu halten." Man war „mitten
Wenn der 1927 geborene Saarländer Ludwig Harig persönlich Erlebtes literarisch wiederbelebt, ist er am besten. Das hat er wiederholt bewiesen, zuletzt bei „Ordnung ist das ganze Leben" (1*6), das war der liebevoll ironische „Roman meines Vaters". Übertrumpft nunmehr der grandiosen NS-Reminiszenz „Weh dem, der aus der Reihe tanzt": ein „Roman", der aber authentisch erzählt, wie der Autor vom Schulbeginn 1933 an in weltanschaulich perfekte Dressur genommen wurde, erzogen zum strikten Glauben an eine niederträchtige Obrigkeit. Alles wird belegt mit typischen
Gewichtig, wiewohl als schmale Broschüre, kommen unter dem Titel „Kants Hoffnung” von Friedrich Dürrenmatt „Zwei politische Reden” heraus (beide Ende 1990 gehalten) und „Zwei Gedichte aus dem Nachlaß”: Gültige Belege für die pessimistisch-kritische Sicht des am 14. Dezember 1990an Herzversagen gestorbenen Dichters auf die sogenannte Nachkriegswelt.„Die Schweiz - ein Gefängnis” heißt seine „Rede auf Vaclav Havel zur Verleihung des Gottlieb-Duttweiler Preises”, den dieser bekommen hat, „weil Ihr Name für Zivilcourage, Ehrlichkeit und Toleranz gegenüber anderen
Der 37jährige David Grossman ist gebürtiger Israeli. Sein neuer Roman „Stichwort: Liebe" hat seit seinem Erscheinen in Jerusalem (1986), vielfach übersetzt, weltweit Bewunderung erregt. Der Autor wurde mit Günther Grass und Gabriel Garcia Marquez verglichen, klingt aber erzähltechnisch bewußt an den berühmten Polen Bruno Schulz an. (Der zweite der vier Abschnitte heißt „Bruno").Es ist die Geschichte des keinen Momik, der die Geschichte seines Großvaters Wasserman erzählt, nachdem er herausgekriegt hat, was in der Familie Neuman gemeint wird, wenn von dem Land