An demselben Tag, an dem die Gesellschaft für Literatur im Palais Palffy den neuen Dokumentationsband österreichischer Literatur, Musik und bildender Kunst seit 1945 vorstellt, bin ich in der Josefstadt unterwegs zu Milo Dor. Er war dabei, als Ilse Aichinger 1947 den „Aufruf zum Mißtrauen“ verfaßte, der nun den Titel dieser Dokumentation bestimmt hat. Er gehörte zu dem Kreis um Hans Weigel im Cafe „Raimund“, wo die Aichinger und Bachmann, damals noch Studentinnen, wo Celan und Fritsch, Zand, Federmann, Kraus und weitere, die den Krieg überlebt hatten, für eine neue Literatur
DIE TRAURIGEN GERANIEN UND ANDERE GESCHICHTEN AUS DEM NACHLASS VON WOLFGANG BOBCHEBT. Herausgeber: Feter Rühmkor f. Rowohlts Taschenbuchausgabe, Hamburg, 1987. 124 Seiten. DM 2.20.Achtzehn straff komponierte Kurzgeschichten, die nicht im Gesamtwerk Borcherts (Rowohlt, 1949) erschienen sind, weil sie erst später entdeckt wurden, weil sie sich thematisch und inhaltlich mit früheren Erzählungen überschneiden oder weil sie eher feuflletonistischen Charakter haben, wurden schon 1962 bei Rowohlt gesammelt und in diesem Jahr in der rororo-Taschenbuchaus-gabe neu vorgelegt. Eine berechtigte
DIE GRUPPE 47. Bericht, Kritik, Polemiken. Ein Handbuch. Herausgeber Reinhard Lei-tan. Luchterhand-Verlag, 1987. S72 Seiten, Paperback DM 19.80, Leinen DM 80.—.Eine „friedliche Zusammenrottung mehr oder minder junger Leute, die sich Geschichten vorlesen“ (Hans Magnus Enzesberger) oder eine „geheime Reichsschrifttumskammer“ (CDU-Politiker Josef Hermann Duf-hues) oder „eine Rasselbande, pöbelhaft bis zur Unglaubwürdigkeit“ (Thomas Mann)? Günter Blöcker warf ihr „Manipulation“, Rudolf Krämer-Badoni „Gesinnungsterror“und Hans Habe „Korruption“ vor. Für andere ist
Seitdem ich in seinem letzten Roman von dem „Krono-tron“ gelesen hatte, fürchtete ich, daß Peter von Tramin Naturwissenschaftler oder Hobbymathematiker ist, der an dem technischen Ungeheuer bastelt, das die Zeit manipuliert und Menschen mit Raketengeschwindigkeit in die Vergangenheit befördert. Dabei wirkt das Haus in der Wiedner Hauptstraße, vor dem ich stehe, eigentlich ganz harmlos. Beim Druck auf die Hausglocke geht mir wieder durch den Kopf, daß Tramin auch „Die Herren Söhne“ geschrieben hat, jenen Roman, der 1963 — wie Mary McCarthys „Clique“ in den USA — hier der
Not hat manches Menschengesicht gezeichnet, lebendige wie künstlerisch gestaltete. Verzerrt oder versteinert, stumm oder wild, resigniert, ergeben oder fragend nach dem Leid und seinem Sinn schauen sie uns an. Kein Künstler kann an diesen Gesichtern vorbeigehen, wie er nicht das Leid ignorieren kann, das wesentlich zum Leben gehört. Will er das Leben gestalten, muß er auch den Tod sehen, den Tod und das Leid.„Leben heißt Leiden, Leiden heißt Sterben, Sterben aber heißt Leben in Ewigkeit“ — Unter diesem Motto bringt das Graphische Kabinett des Stiftes Göttweig seit einigen Monaten
ATEMWENDE. Gedichte von Pmul Celan. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt, 1967. 100 Seiten, Leinen. DM IX.—.„Gedächte“, sagte Paul Celan, als er 1958 den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen entgegennahm, „sind die Bemühungen dessen* der mit seinem Dasein zur Sprache geht, wirkliehkeiitswund und Wirklichkeit suchend“. — Und diese Bemühungen werden nie abgeschlossen sein, möchte man angesichts seines sechsten Gedicht-banides „Atemwende“ hinzufügen, den Celan nun nach vierjähriger Pause vorlegt: die Sprache noch karger, die Wirklichkeit spröder, der Sucher wunder. Doch er
Wissen Sie, was ein Kronotron Ist?Sie müssen nicht Atomphysiker oder Mikrobenforscher sein, Sie brauchen überhaupt keine naturwissenschaftliche Vorbildung, Sie müssen es nicht einmal im Detail verstehen, wenn es Ihnen Peter von Tramin als Held seines neuen Romans vorstellt: „Das ist eine Anlage, welche den subjektiven Ablauf der Zeit mit beherrschbarer Bestimmung der temporalen Regression objektiv zu transferieren gestattet; Erstellung der zu diesem Zweck erforderlichen Energiequellen, Analogiewandler und proportionaler Umsetzer; Konstruktion einer Quanten-transmutator genannten
Wie der Lebenstaumel eines dem Tod Entronnenen bricht in dem Land, das am längsten unter der Verwüstung und Verödung des Dreißigjährigen Krieges gelitten hatte, der Barock als Lust an Form, Licht und Farbe auf. Skulpturen voll Erregung und Leidenschaft markieren das späte Aufflammen dieses letzten gesamteuropäischen Lebensgefühls und Kulturausdrucks im böhmisch-mährischen Land. Die Schlösser der Lofokowitz und Kinski prangen wie Kronen auf den Hügeln, prächtige Wallfahrtskirchen und Klöster öffnen sich in großer Zahl einem religiösen Volk, der heilige Johann von Nepomuk wacht
Mit seiner katastrophalen Stimmung und eisigen Atmosphäre, mit der ständigen Affinität zum Krankhaften, Dämonischen, Tödlichen ist in dieser „Prosa“ derselbe Thomas Bernhard unverkennbar, der „Frost“ (1963), „Amras“ (1964), „Verstörung“ (1967) schrieb.In den sieben Erzählungen des Suhrkamp-Bändcfaens „Prosa“ findet der Leser jedoch leichter Zugang zur Eigenart dieses österreichischen Schriftstellers der Gegenwart, der wohl einer der bemerkenswertesten und unbequemsten seiner Generation ist. Denn die schier endlosen monologisierenden Passagen der Romane Bernhards
Unauffällig und fast unbemerkt hat sich in der Presse der kommunistischen Welt ein Wandel vollzogen, dessen Auswirkungen für die politisch-ideologische Einstellung der Menschen, die dort leben, noch nicht abzusehen sind. Die von Lenin entwickelten massiven Methoden der publizistischen Agitation und Propaganda werden heute von wissenschaftlichen Erkenntnissen der Psychologie, Soziologie und Pädagogik verdrängt und schon fast in die „klassische“ Vergangenheit gerückt. Meinungsbefragungen, Leseranalysen, Fragebögen, typographische Experimente und statistische Untersuchungen, die seit
Daß abstrakte Malerei unserer Zeit nicht unbedingt monströs, unverständlich und unnahbar sein muß, daß sie sehr wohl poesievoll und anmutig sein und auch dem ungeübten Kunstbetrachter reine Freude bereiten kann, lehrt ein Besuch in der Galerie im Griechen-beisl, wo Johann Fruhmann bis 8. Juli ausstellt. Der Kärntner Maler, dem 1965 der österreichische Staatspreis für Malerei zuerkannt wurde, der im Ausland des öfteren die moderne Kunst Österreichs vertreten hat und ein Mosaik im Österreichpavillon auf der Weltausstellung in Montreal schuf, präsentiert hier eine Reihe neuer Werke,
„Ein Schwein ohne Stacheln ist kein Stachelschwein“ steht im Programmheft — nach dem Abend im Theater an der Wien wird niemand den Berliner Kabarettisten die Zugehörigkeit zur Familie der Nagetiere abzusprechen wagen: „Die Stachelschweine“ haben ihre Stacheln gezeigt, scharf und spitz.Ein scharf pointiertes Programm unter dem Titel „Das elfte Gebot“ (es bestand allerdings aus deren sechzehn) teilte vom ersten „Du sollst die Presse lieben, auf daß Du lange lebest auf Erden!“ über das neunte „Du sollst die Geister der Vergangenheit nicht beschwören!“ bis zum sechzehnten
„Musil wird das nie werden können, was man populär nennt“, sagte Franz Blei, einer der kritischsten Beobachter des zeitgenössischen Literaturlebens 1940 von seinem Freund, der damals vereinsamt und verbittert in Genf lebte und zwei Jahre später, am 15. April 1942, starb. Und tatsächlich: Nach anfänglichen literarischen Erfolgen — „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“, 1906, und „Der Mann ohne Eigenschaften“, 1. Band, 1930 —, die ihm positive Kritiken von Thomas Mann, Werner Bergengruen, Alfred Döblin eingetragen hatten, wurde Musil sowohl vom Leserpublikum als auch
„Als ich Karl Muth zum erstenmal sah, mußte ich eine ehrfurchtsvolle. Scheu überwinden ... Ich hatte einen Feuerkopf erwartet, der meinen Vorstellungen von einem mutigen Kämpfer entsprach, den ich seit zehn Jahren aus dem Hochland' kannte und liebte. Aus diem Sessel erhob sich ein größer, schlanker Mann, mit gütigem, lebhaftem Blick; die zurückgekämmten graumelierten Haare betonten die hohe Stirn, ein Zwicker, mit einer schwarzen Schnur an der Weste festgehalten, ein gepflegter Spitzbart gaben ihm eher ein altertümliches, konservatives Gepräge. Schon damals hatte er, wenn er stand
„Höchsten Genuß, schönste Erholung und tiefstes Erlebnis zugleich bereitet das Zeichnen in der Natur-' — dieses Bekenntnis glaubt man dem heute achtzigjährigen Baumeister und Architekten, wenn man in der Albertina die Ausstellung „Clemens Holzmeister — Aufzeichnungen von seinen Reisen“ (die nur noch bis zum 12. Februar zu sehen sein wird) besucht. 79 Blätter seiner Reisetagebücher in Bleistift, Tusche, Kohle oder Wasserfarbe, alle genau mit Entstehungsort, Datum und manchmal sogar Uhrzeit versehen, bezeugen die Stationen seiner Reisen von 1924 bis 1966 nach Italien England,
Aus dem Dunkel vergangener Jahrhunderte holte ein Wiener Ensemble für alte Musik die zauberhafte Geschichte der unerschütterlichen Liebe von „Aucassin und Nicolete“ ans Licht und in unsere Stadt. In der österreichischen Erstaufführung dieser Cantefable, einer Spielmannserzählung aus dem 13. Jahrhundert, die H. C. Artmann aus dem Altfranzösischen nachgedichtet und Klau Walter musikalisch eingerichtet hat, zeigte das junge Ensemble, daß es seinen Namen „Les Menestreis“ zu Recht trägt: Die sechs Wiener „Spielleute“, alle Absolventen der Akademie, improvisierten begeistert als