6750772-1967_27_06.jpg
Digital In Arbeit

Abschied vom „Holzhammer“

Werbung
Werbung
Werbung

Unauffällig und fast unbemerkt hat sich in der Presse der kommunistischen Welt ein Wandel vollzogen, dessen Auswirkungen für die politisch-ideologische Einstellung der Menschen, die dort leben, noch nicht abzusehen sind. Die von Lenin entwickelten massiven Methoden der publizistischen Agitation und Propaganda werden heute von wissenschaftlichen Erkenntnissen der Psychologie, Soziologie und Pädagogik verdrängt und schon fast in die „klassische“ Vergangenheit gerückt. Meinungsbefragungen, Leseranalysen, Fragebögen, typographische Experimente und statistische Untersuchungen, die seit neuestem die Pressearbeit im Ostblock bestimmen, künden jedoch kein „Tauwetter“ an, sondern kennzeichnen eine neue Methode der Meinungsbildung der Bevölkerung, einen bewußt neuen Weg zur Massenwirksamkeit der Zeitungen.

Mit welcher Methode, welcher Schreibweise kann durch die Zeitung am wirksamsten Agitation und Propaganda betrieben werden? Wie kann die Massenwirksamkeit der Presse erhöht werden? Um diese Frage kreisen alle journalistischen Bemühungen in einer Welt, in der nach Lenins „klassischer“ Formel die Zeitung als „kollektiver Propagandist, Agitator und Organisator“ definiert ist. In den Ländern des Ostblocks gilt die Zeitung nicht einfach nur als Medium der Information, Unterhaltung und Bildung oder als Handelsware, die nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft vertrieben wird, in kommunistischen Ländern ist die Zeitung in erster Linie ein Instrument der staatstragenden Partei zur ideologischen Erziehung der Bevölkerung. In diesem in politischer Sicht östlichen Teil der Wrft, hier wiederum soll speziell die DDR herausgehoben werden, ist „Massenwirksamkeit“ für jeden Journalisten ein geläufiges und bedeutsames Wort. Es entscheidet über Wert oder Unwert eines jeden Artikels, es steht als Leitsatz über der gesamten Forschungs- und Lehrtätigkeit der Fakultät für Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig: „Wie kann die Massenwirksamkeit unserer Presse als kollektiver Organisator der sozialistischen Umgestaltung erhöht werden?“ Diese Frage, die von Wissenschaftlern, Politikern und Pressepraktikern in Ostdeutschland immer wieder gestellt und durchdiskutiert wird, hat den erstaunlichen Wandel in der Pressearbeit erzwungen, der Lenins Holzhammermethoden der Propaganda durch die subtilen Gesetze der Massenpsychologie ersetzt. Nur wer die Autoritätsgläubigkeit und Traditionsverpflichitung der kommunistischen Welt kennt, kann ermessen, welche Revolution dieser Schritt bedeutet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung